Angst und viele Sorgen spürt die evangelische Pfarrerin Stefanie Reuther in diesen Tagen bei ihren Freunden in England. Vor der Abstimmung des britischen Parlaments über den Ausstiegsplan aus der EU am Dienstag hat die Öffentlichkeitsreferentin im Dekanat Nürnberg mit Bekannten und ehemaligen Arbeitskollegen gesprochen. Sie war von 2009 bis 2012 in der anglikanischen Diözese Hereford in einem Team mit acht Pfarrern tätig und dort mit zuständig für die Seelsorge in 24 Kirchengemeinden. Zuletzt war Reuther im November zu einem Vortrag dort. "Mir erzählen Pfarrer, dass sie in ihren ländlichen Gemeinden manchmal die einzigen sind, die gegen den Brexit gestimmt haben und jetzt gar nicht wissen, was sie predigen sollen, ohne die Gräben zu vertiefen", berichtet Reuther am Montag in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
"Konkret wissen viele Menschen auch noch nicht, wie sie weiter mit ihren Nachbarn oder Verwandten umgehen sollen", beschreibt die Pfarrerin die Spaltung, die der Brexit verursacht habe. Die Freunde sagen ihr aber auch, "was uns zerrissen hat, ist auch der lange Schwebezustand, in dem wir lebten". Es habe ja all die Monate Unsicherheit geherrscht, in welche Richtung das Land gehe.
Gemeinden in Sorge über finanzielle Konsequenzen
Stefanie Reuther erinnert sich an einen Brief der Verantwortlichen der Partnerkirche Kirchenkreis Nürnberg, der Diözese Hereford, die nach der Brexit-Abstimmung im Jahr 2016 nach Nürnberg schrieben, dass sie trotz allem an der Beziehung zu den Protestanten in Franken festhalten wollten. Im vergangenen Jahr im Oktober seien auch aus der Kirche viele zu der Kundgebung für ein neues Brexit-Referendum gefahren, an der eine halbe Million Menschen teilgenommen haben sollen, hat Reuther erfahren.
Viele Familien in den Gemeinden hätten große Sorgen, welche finanziellen Konsequenzen der Ausstieg aus der EU in Kürze für sie haben könnte, hat Reuther erfahren. Auch um die Beziehungen zu Verwandten, die auf dem Kontinent leben, mache man sich Gedanken. Reuther muss auch an einen betagten ehemaligen Militär-Angehörigen in ihrer englischen Gemeinde denken, der im Nordirland-Konflikt eingesetzt war: "Er hofft und betet, dass nicht alles wieder von vorn beginnt".
Sie selbst hat es bei ihrem Besuch unlängst als "schizophren" empfunden, überall in dem ländlichen Gebiet in Mittelengland auf große Stellwände zu stoßen, auf denen die Förderung der EU propagiert wird. Auch viele Bauern in der Gegend seien auf Subventionen der EU angewiesen, die sie nun nicht mehr erhalten werden. Da könne man sehen, "wie stark Populismus sein kann", erklärt Reuther.