Es sei "schändlich und verlogen", wenn Migranten "als die einzige Ursache für alles herhalten müssen, was in unserer Gesellschaft und in unserem Wirtschafts-, Bildungs- und Sozialsystem zu kritisieren ist und der Veränderung bedarf", sagte die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen am Sonntagabend vor der Landessynode in Bielefeld.
Für viele Menschen scheine sich im Phänomen der Migration ein Grundempfinden von Verunsicherung, Ungerechtigkeit und Unbehagen zu bündeln. Vieles, was seit der Zuwanderung Hunderttausender Flüchtlinge ab Herbst 2015 als kritisch und krisenhaft erlebt wurde, habe seine Ursachen jedoch anderswo, unterstrich Kurschus: "In rücksichtsloser Wirtschaftspolitik und schöpfungsvergessener Energiepolitik, in fatalen Kriegen und Militäraktionen des Westens, in einer lange vernachlässigten Solidarität innerhalb Europas".
Streit um Migration verunsichere Gesellschaft
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte Migration Anfang September als "Mutter aller Probleme" bezeichnet. Die aktuelle Krise in Staat und Gesellschaft wäre jedoch "nicht einmal annähernd präzise verstanden", wenn man sie für eine Folge der sogenannten Flüchtlingskrise hielte, sagte Kurschus, die auch stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Der Streit um die Migration habe lediglich Verwerfungen und Verunsicherungen zutage gebracht, die "ein galoppierendes Selbstmisstrauen pluraler und liberaler Gesellschaften offenbaren".
Zweifel an den Grundüberzeugungen der Demokratie machten sich breit. Vernunft, wechselseitiger Respekt und menschlicher Anstand würden auf schwere Proben gestellt, beklagte Kurschus. Sie sei "heilfroh, dass nach einem fatalen Sommer für die politische Kultur unseres Landes allmählich Wahrhaftigkeit, Augenmaß und Sachorientierung wieder an Gewicht gewinnen". Die westfälische Kirche, mit gut 2,2 Millionen Mitgliedern die viertgrößte Landeskirche in Deutschland, will sich auf allen Ebenen ein Jahr lang intensiv mit dem Thema Kirche und Migration beschäftigen. Dazu wird dem Kirchenparlament am diesem Montag ein Papier vorgelegt, das anschließend in den Gemeinden, Kirchenkreisen und Einrichtungen diskutiert werden soll.