Nach den Blasphemiegesetzen kann Gotteslästerung und Prophetenbeleidigung mit dem Tod bestraft werden. Das Gesetz stammt ursprünglich aus britischen Kolonialzeiten, wo es dazu diente, abfällige Bemerkungen gegen das Christentum zu ahnden. Nach der Unabhängigkeit der islamischen Republik Pakistan 1947 erhielten die Paragrafen jedoch eine neuen Stellenwert und finden nun besonders häufig gegen religiöse Minderheiten wie Christen und Schiiten Anwendung.
Die Situation in Pakistan ist weiter angespannt, seitdem das Oberste Gericht am Mittwoch das Blasphemie-Todesurteil gegen die etwa 50 Jahre alte Bibi aufgehoben hat. Die fünffache Mutter war 2009 nach einem Dorfstreit um ein Glas Wasser wegen Gotteslästerung angezeigt und 2010 zum Tode verurteilt worden. Doch ihre Freilassung nach über neun Jahren Haft ist trotz ihres Freispruchs ungewiss. Die pakistanische Regierung beugte sich dem Druck eines islamistischen Mobs, der tagelang randaliert hatte, und kündigte eine Ausreisesperre gegen die Christin an.
Religionsminister Qadri machte jedoch deutlich, dass es Aufgabe des Gerichts sei, eine Ausreisesperre gegen Bibi zu verhängen. Legal ist das allerdings nicht möglich, da Bibi freigesprochen ist und kein anderes Strafverfahren gegen sie anhängig ist. Allerdings könnte es dauern, bis das Oberste Gericht erneut Stellung zu dem Fall bezieht. Die Polizei hat inzwischen um die 1.800 Menschen nach den Ausschreitungen verhaften lassen, allein 700 in die Hauptstadt Islamabad. Bibis Familie hat mehrere Länder um Asyl gebeten. Am Samstag floh Bibis Anwalt Saif-ul-Malook aus Angst um sein Leben nach Europa. Er hält sich nun in den Niederlanden auf.
Menschenrechtler fordern immer wieder die Reform der pakistanischen Blasphemie-Gesetze, weil sie für Racheakte und Behördenwillkür missbraucht würden. Doch alle Versuche, das Gesetz zu ändern, scheiterten stets am Widerstand religiöser Hardliner. Zwei wichtige Politiker wurden 2011 ermordet, weil sie eine Lockerung forderten: Anfang Januar 2011 starb der liberale Gouverneur Salman Taseer und Anfang März 2011 der Minister für religiöse Minderheiten, der Christ Shahbaz Bhatti.