Enttäuscht äußerte sich Lehrer über die Reaktionen auf die rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz, bei denen auch ein jüdisches Restaurant angegriffen wurde, und einen Neonazi-Aufmarsch vor einigen Wochen in Dortmund. Es habe zwar an beiden Orten Gegenkundgebungen gegeben, sagte er. "Ich vermisse aber insgesamt, dass ein Ruck durch die Gesellschaft geht und sich eine Vielzahl von Bürgern den Rechten mit Demonstrationen und Menschenketten entgegenstellt." Initiatoren solcher Aktionen könnten die politischen Verantwortungsträger sein: "Warum hat die Chemnitzer Oberbürgermeisterin nicht zu so etwas aufgerufen?"
"Regelrecht geschockt" habe ihn der Umgang der Behörden mit dem Dortmunder Neonazi-Aufmarsch, sagte Lehrer. "Dort konnten Teilnehmer einen neuen Nationalsozialismus fordern und skandieren 'Wer Deutschland liebt, ist Antisemit', ohne dass die Polizei einschritt." Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) habe anschließend keine Versäumnisse gesehen und die Staatsanwaltschaft anfangs die Auffassung vertreten, es habe sich nicht um Antisemitismus gehandelt.
"Dass so etwas möglich ist, erinnert an Zeiten wie am Ende der Weimarer Republik", kritisierte Lehrer. Eine solche Versammlung hätte sofort aufgelöst werden müssen. "Der Vorfall zeigt, dass wir zu wenig geschulte Polizisten haben, die auf Antisemitismus schnell und angemessen reagieren."
Scharfe Kritik äußerte Lehrer an der AfD. Die Partei sei eine Art Katalysator für verschiedene Gruppen mit antisemitischen Wurzeln und schaffe "ein Terrain, auf dem Antisemitismus wachsen und offen auftreten kann", sagte der Kölner Synagogen-Vorstand, der auch die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland leitet. "Sie verletzt bewusst Grenzen und trägt auf diese Weise dazu bei, dass antisemitische Haltungen als normal betrachtet werden." Radikale AfD-Funktionäre wie Björn Höcke redeten relativierend über den Holocaust und würden in ihrer Partei augenscheinlich von einer breiten Mehrheit gestützt.
Als wünschenswert bezeichnete Lehrer, dass alle Bundesländer einen Antisemitismus-Beauftragten berufen. "Eine solche Einrichtung ist ein Zeichen an die Bevölkerung, dass sich die jeweilige Regierung um Antisemitismus kümmert und diesem Thema besondere Aufmerksamkeit widmet", sagte er. "Ein Beauftragter kann zudem die Befassung mit Antisemitismus in den verschiedenen Ressorts und Abteilungen koordinieren."