Die Theologie Luthers und die Physik als die fundamentalste aller Naturwissenschaften ruhen auf scheinbar vollkommen gegensätzlichen Grundvoraussetzungen. Gilt bei Luther sola scriptura, das heißt die Heilige Schrift allein ist letztgültiger Prüfstein einer jeden theologischen Aussage, so gilt in der Physik ein sola natura. An der messbaren Natur allein muss sich jeder Gedanke eines Physikers prüfen lassen. Kein Physiker darf sich zur Erklärung eines Phänomens auf einen deus ex machina berufen. Für den Physiktreibenden gilt ein strenger methodischer Atheismus.
Luther machte die Entdeckung seines Lebens nicht in der Natur, sondern in der Schrift. Er fand einen nahbaren, gnädigen und sich offenbarenden Gott. Diese Entdeckung veränderte sein Leben radikal und ließ ihn letztlich vor den Großen seiner Zeit sagen: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders."
Wie stehe ich als protestantischer Christ und Physiker zu den scheinbaren Gegensätzen von Luthers Theologie und der Physik? Für mich folgt aus dem methodischen Atheismus des Physikers nicht ein praktischer Atheismus als Mensch. Die Verwendung der Schrift als weitere Quelle der Erkenntnis außer der Natur ist in meiner wissenschaftlichen Arbeit zwar nicht statthaft, als Mensch vor Gott ist sie für mich aber unverzichtbar. [.?.?.]
Dieser Beitrag stammt aus: Isolde Karle (Hrsg.), "Hier stehe ich, ich kann nicht anders!". Dokumentation des akademischen Festakts zum Reformationsjubiläum 2017 an der Ruhr-Universität in Bochum (Institut für Religion und Gesellschaft), Bochum 2018, 47–48.