Am Samstagabend, dem 29. Juni, sei der Generalstaatsanwalt guter Laune gewesen, "aufgeräumt und heiter", gibt seine Nachbarin später zu Protokoll. Fritz Bauer (1903-1968) habe mit ihr noch bis nach Mitternacht bei Keksen und Cognac auf dem Balkon gesessen und geplaudert. Er habe sie sogar gebeten, neues Gebäck zu besorgen, weil sein Vorrat aufgebraucht sei. Auch habe er beiläufig darüber gesprochen, dass er "ohne Chemie" nicht einschlafen könne.
Am Morgen des 1. Juli 1968, einem Montag, verständigen besorgte Hausbewohner die Staatsanwaltschaft. Sie hatten bemerkt, dass in der Nacht das Licht in Bauers Badezimmer brannte. Als die Haushälterin mittags mit dem Wohnungsschlüssel eintrifft, kommt für den "General" jede Hilfe zu spät. Todesursache sei Herzversagen gewesen, stellt der Rechtsmediziner Joachim Gerchow fest. Er habe fünf Tabletten des Beruhigungsmittels Revonal eingenommen und 1,1 Promille Alkohol im Blut gehabt. Das reiche nicht für einen Suizid. Anhaltspunkte "für eine andere Todesart, eventuell ein Verbrechen", gebe es auch nicht.
Herzversagen, Suizid oder Mordkomplott?
Trotzdem geben die Umstände seines Todes im Frankfurter Westend bis heute Anlass zu Vermutungen und Gerüchten. Sein Künstlerfreund Thomas Harlan, Sohn des NS-Propagandafilmers Veit Harlan ("Jud Süß"), raunt von einem Suizid aus Verbitterung über alte Nazi-Seilschaften, und in einer Filmdokumentation über Bauer werden diese Andeutungen sogar in Richtung eines Mordkomplotts erweitert. Bauer hatte maßgeblich den ersten Auschwitzprozess von 1963 bis 1965 initiiert - das erste große Verfahren, bei dem sich NS-Täter vor einem deutschen Gericht verantworten mussten.
Wer sich dem Toten in der Badewanne nüchterner nähert, "entdeckt nicht den Showdown eines Thrillers, wohl aber ein leiseres Drama, das viel vom Preis dieses Lebens erzählt", ist sich der Bauer-Biograf Ronen Steinke sicher. Der SPD-Mann mit jüdischen Wurzeln sei zermürbt gewesen von Drohanrufen und anonymen Briefen von Altnazis und Antisemiten. "Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland", habe er einmal seine Lage beschrieben.
Bauer brennt vor allem in seiner Frankfurter Zeit an beiden Enden. Ende der 1950er Jahre gibt er dem israelischen Geheimdienst die entscheidenden Tipps zur Ergreifung von Adolf Eichmann, des Cheforganisators des Holocaust, in Argentinien. Er lässt nicht locker bei der Vorbereitung und Inszenierung des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses und ab 1965 bei der Voruntersuchung für einen weiteren Prozess, der sich gegen die juristischen Erfüllungsgehilfen der NS-Morde an Kranken und Behinderten richten sollte. "In dieser Zeit war Bauer massiv belastet", bestätigt die Frankfurter Historikerin Sybille Steinbacher. "Dass er sich verausgabt hat, liegt auf der Hand."
Hinzu kommt, dass der Mann mit der dicken Hornbrille und dem freundlichen, schwäbisch getönten Bass ausgesprochen ungesund lebt. "Er rauchte nahezu pausenlos, vor allem Zigarren, und er hat nicht regelmäßig und auch nicht gesund gegessen", sagt die Leiterin des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts.
Fritz Max Bauer wird am 16. Juli 1903 in Stuttgart in eine liberale jüdische Familie geboren. Nach dem Studium der Rechts- und Volkswirtschaftslehre wird er 1930 in seiner Heimatstadt zum jüngsten Amtsrichter Deutschlands berufen. Im März 1933 setzen die Nazis Bauer ab und internieren ihn für acht Monate im Konzentrationslager auf dem Stuttgarter Heuberg. Die Sondergesetze und die Boykotte gegen jüdische Geschäftsleute treiben ihn 1936 ins dänische Exil. 1943 schließt er mit der dänischen Erzieherin Anna Maria Pedersen eine Scheinehe und flüchtet nach Schweden.
Erst 1949 sieht Bauer seine alte Heimat wieder. Auf Formularen bezeichnet er sich als "glaubenslos". Er habe seine jüdische Herkunft verborgen, "um wenigstens als Deutscher anerkannt zu werden", analysiert Steinke. Ab 1950 widmet sich Bauer als Generalstaatsanwalt zunächst in Braunschweig und ab 1956 in Frankfurt seiner Lebensaufgabe: die Verbrechen von Auschwitz vor Gericht zu bringen und die Mauer des Schweigens zu durchbrechen, die die NS-Täter noch immer schützte. Seine Prozesse sollten den Deutschen eine Lehrstunde sein.
Die Abende verbringt der temperamentvolle Dickschädel meist diskutierend mit seinen Freunden. Engeren Kontakt sucht Bauer zu Harlan, mit ihm verbringt er 1964 einen Urlaub am Mittelmeer. Eine intimes Verhältnis mit dem Künstler hat er aber wohl nicht. "Obwohl Bauer im dänischen Exil einmal wegen homosexueller Handlungen verhaftet wurde, waren seine Frankfurter Beziehungen rein platonischer Natur", ist sich der langjährige Archivleiter des Fritz-Bauer-Instituts, Werner Renz, sicher. Gleichwohl streitet der Vollblutjurist vehement für die Abschaffung des Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte.
Zu seiner dänischen Ehefrau hat Bauer regelmäßig Kontakt, sie reist auch zur Trauerfeier nach Frankfurt an. Hauptredner dort ist Robert W. Kempner, NS-Verfolgter und Ankläger in den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen. Er würdigt den Verstorbenen als "größten Botschafter, den die Bundesrepublik hatte". Verabschiedet wird der "General" später im engsten Familien- und Freundeskreis. Beigesetzt ist seine Urne im Grab seiner Eltern in Göteborg.