Mehrere Bundesminister haben ihre Unterstützung für Solidaritätsaktionen mit der jüdischen Gemeinschaft bekundet. Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte dem Berliner "Tagesspiegel" (Mittwoch): "Wenn junge Männer bei uns bedroht werden, nur weil sie eine Kippa tragen, müssen wir deutlich machen: Sie sind nicht allein." Niemals dürfe zugelassen werden, dass Antisemitismus in Deutschland wieder alltäglich werde. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte: "Jüdinnen und Juden müssen in Deutschland sicher leben können - das ist nicht verhandelbar." In mehreren deutschen Städten waren für Mittwochabend Kundgebungen geplant, so in Berlin, Potsdam, Magdeburg und Köln.
Giffey äußerte sich besorgt über ein Anwachsen antisemitischer Tendenzen "auch von Zuwanderern". Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) erklärte in Berlin: "Aktionen wie 'Berlin trägt Kippa' sind ein wichtiges Zeichen der Solidarität." Juden dürften nie wieder Angst haben müssen, sich in Deutschland zu erkennen zu geben.
Offenbarungseid für Deutschland im Jahr 2018
Auch Überlebende des Holocaust im Internationalen Auschwitz Komitee begrüßten die Solidaritätsgesten gegenüber jüdischen Menschen. Der Exekutiv-Vizepräsident des Komitees, Christoph Heubner, dankte allen Teilnehmern der Demonstrationen "für die Klarstellung, die ihre Haltung ausdrückt und die Ermutigung, die von ihrer Teilnahme ausgeht". Juden sollten gerade in deutschen Städten gefahrlos und ohne antisemitische Angriffe leben können.
Den Auftakt der Kundgebungen machte am Mittwochvormittag in Erfurt die Aktion "Thüringen trägt Kippa" mit etwa 300 Menschen. Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm, warnte mit Blick auf den Mord an einer Holocaust-Überlebenden in Paris eindringlich vor "französischen Verhältnissen" in Deutschland. Werde jetzt nicht gehandelt, müssten auch die deutschen Juden in wenigen Jahren wieder mit einer Angst leben, die in einigen Teilen Europas schon heute trauriger Alltag sei. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) betonte, dass alle Religionen in Deutschland das Recht haben müssen, frei und unbedroht ihren Glauben leben zu können.
Für den Publizisten Michel Friedman sind die Solidaritätsbekundungen nur ein "symbolisches Signal" und ein "Tropfen auf dem heißen Stein". Wenn der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, Juden in Deutschland rate, nicht mehr ihr Religionssymbol zu tragen, dann sei das ein Offenbarungseid für Deutschland im Jahr 2018, sagte der frühere stellvertretende Zentralratspräsident dem SWR.
Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in Berlin appellierten am Mittwoch an Politik und Gesellschaft, Betroffene von Antisemitismus ernster zu nehmen. Häufig würden deren Erlebnisse als subjektives Empfinden relativiert, denen vermeintlich objektive Statistiken gegenüber gestellt würden, kritisierte das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA). Tatsächlich trete der Antisemitismus offener und aggressiver auf als noch vor einigen Jahren und gehe in der Wahrnehmung der Betroffenen häufig von Muslimen aus. Das werde von den Behörden nicht ernst genug genommen.
Die Teilnehmer der Kundgebungen am Abend sollten als Zeichen der Solidarität die traditionelle jüdische Kopfbedeckung Kippa tragen. Allein in Berlin wurden vor dem Jüdischen Gemeindehaus etwa 1.000 Menschen erwartet. Als Redner waren unter anderem der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), Zentralratspräsident Schuster und der Berliner evangelische Bischof Markus Dröge angekündigt. Auslöser der Kundgebungen ist der gewalttätige Übergriff auf zwei Kippa tragende Männer am Dienstag in der vergangenen Woche in Berlin-Prenzlauer Berg.