Hilfswerke sollen offen mit Missbrauch umgehen

Hilfswerke sollen offen mit Missbrauch umgehen
Hilfswerke müssen nach Einschätzung der Menschenrechtsexpertin Anna Würth unbedingt offen mit Fällen von sexuellem Missbrauch umgehen. "Man muss darüber berichten, sonst bekommt man das Problem nicht in den Griff", sagte die Leiterin für Internationale Menschenrechtspolitik beim Deutschen Institut für Menschenrechte dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Ähnlich wie beim Umgang mit veruntreutem Geld sei man ansonsten andauernd in der Defensive. Vor einigen Tagen wurden Missbrauchsvorwürfe gegen Mitarbeiter der Hilfsorganisation Oxfam bekannt, woraufhin auch andere Hilfswerke Fälle bekanntmachten.

Der Anspruch der Öffentlichkeit habe sich verändert, erläuterte Würth. "Wir erwarten nicht, dass Organisationen fehlerfrei sind, aber dass sie offen und konstruktiv mit ihren Fehlern umgehen." Was zu Fehlern führe, sei eine institutionalisierte Kultur des Verschweigens.

Ein offener Umgang verlange allerdings einen schwierigen Kulturwandel, sagte Würth. Denn bei Hilfswerken seien die Reaktionen immer besonders heftig. "Wenn Hilfsorganisationen die Not, die sie lindern, auch noch ausnutzen, ist das ein größeres Problem, weil der moralische Anspruch so hoch ist." Doch das Problem beschränke sich nicht auf humanitäre Hilfe, sondern bestehe in allen Organisationen, in denen es ein Machtgefälle zwischen Helfenden und Hilfsbedürftigen gebe. Das treffe auf Bundeswehr und Polizei ebenso zu wie auf die Kirchen, Schulen, die Altenpflege und die Psychiatrie: "Das Machtgefälle begünstigt Übergriffe."



In der humanitären Hilfe ist das Machtgefälle Würth zufolge sehr deutlich. "Die Menschen sind teilweise abgeschnitten von allem Lebensnotwendigen wie Nahrungsmittel und Wasser, und die Helfer entscheiden, wem geholfen wird und wem nicht." Erschwerend kämen die enormen Belastungen des Berufs hinzu. "Helfer, die in Krisengebieten arbeiten, erleben bei ihren Einsätzen Dinge, die leicht zu posttraumatischen Belastungsstörungen oder einem Burn-out führen können." Wenn die Hilfswerke es nicht schafften, solche Belastungen aufzufangen, erhöhe sich das Risiko von Machtmissbrauch.

Ganz verhindern lassen sich Übergriffe Würth zufolge jedoch nicht, weil das Machtgefälle dazu einlade, vor allem in langanhaltenden Situationen. "Machtgefälle ist etwas, mit dem die Menschen sehr schwer umgehen können."

Viele Hilfswerke führten diese Diskussion allerdings bereits seit Jahren. "Jede Organisation braucht ein System, das Mitarbeitern deutlich macht, wie sie mit ihrer Macht umgehen sollen", sagte Würth. Es brauche Prävention wie Aus- und Fortbildungen und klare Beschwerde- und Prüfmechanismen. Dabei sei auch wichtig, an Geschlechterbildern und dem Umgang mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. "Männer haben strukturell mehr Macht, und manche Formen von Machtmissbrauch wie Prostitution sind akzeptierter." Deshalb seien Männer deutlich stärker gefährdet, ihre Macht gegenüber Frauen und Kindern zu missbrauchen.

Aber auch interne Kodizes reichten nicht aus. Organisationen hätten immer die Tendenz, einen Vorfall nur als Einzelfall zu sehen. "Aber jeder Fall sollte Anlass sein, ins System zu schauen und zu analysieren, wie er passieren konnte." Für die interne Aufarbeitung gehe dies nur über eine Untersuchungskommission, so wie sie Oxfam nach Bekanntwerden von Missbrauchsfällen angekündigt hat. "Nur so kann man die Schwächen im System aufdecken und verändern", betonte die Expertin.