Die Kritik am Gesetz gegen Hass im Netz reißt nicht ab. Am Dienstag wurde auch aus der Deutschen Unesco-Kommission die Forderung nach einer neuen Gesetzgebung laut. Dies hatten zuvor auch Politiker von FDP, Grünen und Linkspartei verlangt. Unterdessen regte der Europa-Abgeordnete der Grünen, Jan Philipp Albrecht, ein europäisches Gesetz an, das das umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ersetzen könne.
Der Vorsitzende des Fachausschusses Kommunikation und Information der Deutschen Unesco-Kommission, Wolfgang Schulz, erklärte, eine neue Bundesregierung solle sich vornehmen, "Alternativen" zum NetzDG zu entwickeln. Er verwies auf mögliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit durch das Gesetz.
Schulz sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), ein wichtiges Element zur Bekämpfung von Hass im Netz sei die Einrichtung einer Beschwerdestelle. Es komme darauf an, die Opfer zu stärken und mit Informationen zu versorgen, wie sie sich wehren können. Das sei aber in Deutschland im Augenblick kaum in der Diskussion.
Europapolitiker Albrecht schlägt EU-Gesetz anstelle von NetzDG vor
Zudem müssten die Täter effektiv verfolgt werden, betonte der Direktor des Hamburger Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung. Das Internet sei kein straffreier Raum. Das NetzDG verpflichte zwar die Plattformen, strafrelevante Inhalte zu löschen, damit finde aber keine Strafverfolgung statt. Ermittlungsbehörden müssten personell und technisch besser ausgestattet werden und dann auch Strategien des Vorgehens gegen Hassreden im Netz entwickeln. Dabei sei zu klären, welche Straftaten so gewichtig sind, dass sie verfolgt werden müssen.
Zudem schlug der Medienwissenschaftler eine Selbstkontrolleinrichtung für die Online-Plattformen vor, analog zu den Landesmedienanstalten als Aufsichtsbehörden für private Sender. Als das NetzDG am Ende der Legislaturperiode "durchgedrängt" worden sei, habe die Politik es versäumt, eine solche Ko-Regulierung gründlich zu durchdenken.
International werde besorgt beobachtet, dass "Staaten wie etwa Russland, die wegen staatlicher Einflussnahme auf die Meinungsfreiheit in der Kritik stehen, das Konzept kopieren und dabei auf Deutschland verweisen", sagte Schulz. Der Unesco-Fachausschuss empfehle daher eindringlich, dass die geplante Überprüfung des Gesetzes von einer unabhängigen Stelle nach wissenschaftlichen Standards vorgenommen werde und die Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit untersucht würden.
Der Grünen-Politiker Albrecht forderte in Brüssel ein neues europäisches Gesetz. "Es macht mit Blick auf die Online-Netzwerke keinen Sinn, das national zu regeln", sagte er dem epd anlässlich eines Treffens der EU-Kommission mit Vertretern der Online-Branche am Dienstag in Brüssel. Dabei müsse "aus den Fehlern des deutschen Gesetzes gelernt" werden. "Es muss klarere Kriterien und klarere Verfahren geben, bei denen sowohl die Betreiber als auch die Behörden Verantwortung für die Durchsetzung von Rechtsansprüchen tragen."
Am Dienstag waren unter anderem Vertreter von Alibaba, Facebook, LinkedIn, Microsoft und Youtube nach Brüssel eingeladen, um mit fünf EU-Kommissaren über den Kampf gegen strafbare Online-Inhalte zu sprechen. Die EU-Kommission hat vor kurzem erkennen lassen, dass sie weitere Gesetzgebung in diesem Bereich nicht ausschließt.
Nach Inkrafttreten des NetzDG gab es beim zuständigen Bundesamt für Justiz innerhalb von acht Tagen bereits 52 Beschwerden über soziale Netzwerke, weil diese rechtswidrige Inhalte nicht fristgemäß gelöscht oder gesperrt hätten. Diese Zahl nannte der Sprecher der Behörde, Thomas Ottersbach, dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (Mittwoch).
"Wenn das soziale Netzwerk nicht reagiert, also den rechtswidrigen Inhalt nicht fristgemäß löscht oder sperrt, kann dieser Sachverhalt dem Bundesamt für Justiz gemeldet werden", erklärte er. Hierfür stelle die Behörde seit dem 1. Januar auf ihren Internetseiten ein Online-Formular zur Verfügung, das auch genutzt werde. Konsequenzen habe das für die Unternehmen noch nicht gehabt: "Bislang ist keine Bußgeldentscheidung gemäß Paragraf 4 NetzDG ergangen."
Das seit 1. Januar in vollem Umfang geltende Netzwerkdurchsetzungsgesetz verpflichtet soziale Netzwerke zu einem schärferen Vorgehen gegen strafbare Inhalte. Kritiker befürchten vor allem, dass die Plattformen gemeldete Beiträge aufgrund der hohen drohenden Bußgelder voreilig löschen. Für Aufsehen sorgte in den vergangenen Tagen unter anderem die Sperrung des Twitter-Accounts des Satiremagazins "Titanic". Eine Sperrung von Accounts sieht das Netzwerkdurchsetzungsgesetz allerdings nicht vor. Grüne, Linke und FDP fordern die Abschaffung des Gesetzes, die SPD verteidigt es weitgehend.