Dies werde die Partei weiter stärken, heißt es in einem Beitrag des Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien im Magazin "Zeitzeichen" (Dezember). Die politische Herausforderung für die etablierten Parteien bestehe darin, "jene Wähler, die sie an den rechten oder linken Rand verloren haben, für eine gemäßigte Politik zurückzugewinnen. Ohne Korrekturen der eigenen Politik wird das jedoch kaum gelingen."
"So gewiss die Auseinandersetzung mit politischem Extremismus auch auf einer moralischen Ebene geführt werden muss, so wenig können moralische Entrüstung, Menschenketten und Lichtermeere realpolitische Strategien ersetzen", fügte der Sozialethiker hinzu. Es werde auch in Deutschland nötig sein, "sich auf den unterschiedlichen Politikfeldern Punkt für Punkt mit der AfD auseinanderzusetzen und sie zu fordern. Eine Partei, die zum Beispiel nach eigenem Bekunden kein Rentenkonzept vorzuweisen hat, kann sich doch nicht im Ernst als politische Alternative für Deutschland aufspielen", sagte Körtner vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der FPÖ in Österreich.
Kirchen haben sich aus guten Gründen von AfD distanziert
Mit Blick auf die Kirchen bekräftigte Körtner seine Aussage, diese "müssten sich selbstkritisch fragen, was sie möglicherweise selbst zum Wahlerfolg dieser unappetitlichen Partei beigetragen haben". So stünden die Kirchen "erkennbar auf der Seite des Multikulturalismus", hätten die Kirchen die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel "moralisch überhöht" und sich weniger intensiv mit dem politischen Islam auseinandergesetzt wie die AfD. Aktionen "gegen Rechts" wie die Kölner Initiative "Unser Kreuz hat keine Haken", mit denen Parteimitglieder und Sympathisanten der AfD unterschiedslos als verkappte oder offene Nazis denunziert worden seien, "waren in ihrer Pauschalität unsachlich und politisch kontraproduktiv". Körtner warnte in diesem Zusammenhang vor einem "prophetischen Gestus" als "Attitüde besoldeter Amtsträger".
Zwar habe sich die AfD von einer ursprünglich EU-kritischen zu einer nationalistischen, rechtspopulistischen Partei entwickelt, die in Teilen rechtsextrem sei, räumte Körtner ein: "Von diesen haben sich die Kirchen aus guten Gründen distanziert." Dennoch sei unübersehbar, dass die AfD auch "unter treuen Kirchenmitgliedern beider Konfessionen ein Wählerreservoir hat". Als Gründe nennt Körtner den Einsatz der Partei für den Schutz ungeborenen Lebens sowie gegen "Gender Mainstreaming" und "Frühsexualisierung" durch Sexualkundeunterricht.
Wenn das "kirchliche Mainstream-Milieu auf AfD-Wähler nur mit Unverständnis und Abgrenzung reagiert, stehen den Kirchen noch schwere Zeiten bevor", mahnte der Theologe: "Gerade sie sollten das Gespräch mit den Menschen suchen, und zwar nicht etwa nur, um ihnen in der Manier von Besserwissern ihre vermeintlich völlig unbegründeten Ängste auszureden, sondern um ihnen auf Augenhöhe zuzuhören und mit ihnen über ihr Verständnis dessen, was christlich und christlicher Glaube ist, ins Gespräch zu kommen."