500 Jahre nach dem Beginn der Reformation sieht die evangelische Kirche Bedarf für weitreichende Veränderungen. In Bonn startete die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Montag einen Diskussionsprozess, der die Frage danach stellt, wie zukunftsfähig die Institution angesichts von Mitglieder- und Bedeutungsverlust in der säkularen und pluralen Gesellschaft ist. Sie will den Schwung des gerade zu Ende gegangenen Reformationsjubiläums für Reformen nutzen. Konkrete Veränderungen klangen für die Gestaltung der Gottesdienste und der oft als starr empfundenen Kirchenmitgliedschaft an.
Gottesdienste müssten einladender, professioneller und kürzer werden, sagte der Religionssoziologe Detlef Pollack vor der Synode. Viele hätten am Sonntagvormittag anderes zu tun, das ihnen wichtiger sei, daher sollte ein Gottesdienst nicht länger als 50 oder 60 Minuten dauern. Das wichtigste kirchliche Format werde zunehmend zu einer Insider-Veranstaltung, berge aber großes Mobilisierungspotenzial: 60 Prozent der Menschen, die mindestens einmal im Monat in die Kirche gehen, engagierten sich dort ehrenamtlich.
Pollack konstatiert insgesamt eine "schwache religiöse Nachfrage" in der säkularen westlichen Gesellschaft. Das größte Problem der Kirche bestehe heute darin, dass Glaube und Kirche den Menschen nicht so wichtig seien: "Sie haben andere Prioritäten", sagte der Wissenschaftler der Universität Münster. Die Kirche müsse daher den Sinn für Religion und "das Unendliche" in der Gesellschaft präsent halten und versuchen, den Menschen die Frage nach Gott dringlich zu machen.
Auf Debatte über Werte einlassen
Der Bochumer Historiker Lucian Hölscher riet der Kirche, die säkulare Gesellschaft weder als Gegner des Christentums noch als passives Handlungsfeld für Mission zu sehen, sondern als Gegenüber, das den Kirchen etwas zu geben habe. Viele säkulare Menschen und Institutionen unterstützten die Kirchen, weil es zahlreiche gemeinsame Anliegen gebe. Die Kirchen sollten ihrerseits bereit sein, sich auf Debatten über Werte und Grundlagen des Zusammenlebens einzulassen.
Die katholische Politikwissenschaftlerin und Journalistin Christiane Florin rief zu einem wachen Blick auf die Gesellschaft und zu einer "belangvollen" Ökumene auf. In beiden großen Kirchen gebe es wenige Orte, an denen über die viel beschworene Botschaft gesprochen werde: "Was ich wirklich glaube, ist selten ein Thema." Sie warnte die Kirchen vor "Selbstgenügsamkeit" und vor einer Überschätzung der inneren Pluralität. Die Pole hießen nicht mehr "evangelisch" oder "katholisch", sondern "liberal" oder autoritär".
Die 120 Mitglieder des Kirchenparlaments sollen bei ihrer bis Mittwoch dauernden Jahrestagung ein Papier erarbeiten, das Anstöße für mögliche Veränderungen gibt. Die Gedanken des Synodenpräsidiums zum Schwerpunktthema "Zukunft auf gutem Grund" enthält Thesen und Fragen zur Kommunikation und Beteiligungsmöglichkeiten in der evangelischen Kirche.
Konkret wird etwa gefragt, ob das Kirchenmitgliedschaftsrecht "vielfältiger" gestaltet werden kann. Anlass dafür sei das "Bedürfnis vieler Menschen, Kirche erst einmal auszuprobieren", sagte der Vizepräses der EKD-Synode, Klaus Eberl. Allerdings werfe eine gestufte Mitgliedschaft grundlegende Fragen etwa nach dem Kirchensteuereinzug und der Verbindlichkeit von Kirchenzugehörigkeit auf. Noch lasse sich nicht vorhersagen, was die entsprechenden Überlegungen ergeben, sagte Eberl. In der Vorlage des Präsidiums werden noch weitere Fragen gestellt, die in der Diskussion um die Zukunft der Kirche eine Rolle spielen sollten, unter anderem, wie Kirche es schaffen kann, häufiger vom Sende-Modus zum Dialog überzugehen, und und wie Kirche über die bekannten Milieus hinaus wirken kann.