Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat die Kirchen vor Moralisieren und einer Überforderung der Menschen gewarnt. Hinweise und Anregungen zu einer offenen Flüchtlingspolitik und zu tatkräftiger Nächstenliebe bei der Integration von Flüchtlingen hätten nicht wenige als unter Druck setzende Durchhalteparolen empfunden, räumte der bayerische Landesbischof am Sonntag zum Auftakt der EKD-Synode in Bonn selbstkritisch ein. Zugleich hob er die gewachsene Nähe von Protestanten und Katholiken im Jahr des 500. Reformationsjubiläums hervor.
Das Werben um Hilfsbereitschaft für Menschen in Not sei in den vergangenen Jahren mitunter nur als Ausdruck von Moral und Gesetz verstanden worden, sagte Bedford-Strohm in seinem Bericht an die Synode. Es gehe der evangelischen Kirche aber keineswegs um ein Handeln aus schlechtem Gewissen, political correctness oder den Versuch der moralischen Selbsterhöhung, sondern um ein Handeln aus Freiheit, betonte der EKD-Ratschef. "Ein solches Handeln aus Freiheit verurteilt andere nicht."
"Wie können wir heute, in einer pluralistischen Öffentlichkeit, so reden, dass Menschen, die den Aufruf zum Eintreten für Flüchtlinge so nicht teilen können, angesichts unserer Stellungnahmen nicht mit dem Gefühl zurückbleiben, ein schlechterer Mensch oder ein unzulänglicher Christ zu sein und vielleicht dann zum aggressiven Gegenangriff auf die übergehen, die sie als 'Gutmenschen' empfinden?", fragte Bedford-Strohm.
Die Kirche sollte ihre Positionen daher mit "werbender Vernunft" in die Öffentlichkeit tragen, um den Anschein von Gesetzlichkeit und Moralismus zu überwinden. Auf diese Weise würden auch Menschen ohne "steile religiöse Bekenntnisse" erreicht.
Die EKD-Synode will bei ihren Beratungen bis Mittwoch eine Bilanz des 500. Reformationsjubiläums ziehen, das mit einen starken ökumenischen Akzent gefeiert wurde. Bedford-Strohm sagte, zwar gebe es weiterhin "gewichtige Hürden auf dem Weg zu einer sichtbaren Einheit in versöhnter Verschiedenheit". Sie seien aber "überwindbar und nicht notwendigerweise kirchentrennend".
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki würdigte in einem Grußwort vor der Synode, dass die EKD nicht Spaltung und Zwietracht zelebriert habe, sondern "ein Fest Christi und seiner Gnade". Dazu hätten sich die Katholiken "herzlich gerne" einladen lassen. Zudem wies er darauf hin, dass katholische und evangelische Kirche gleichermaßen von einer Zurückdrängung des christlichen Glaubens in der Gesellschaft betroffen seien.
Im Eröffnungsgottesdienst der Synode warnte der rheinische Präses Manfred Rekowski davor, globale Probleme wie den Klimawandel zu verdrängen und angesichts der weltweiten Not vieler Menschen zu resignieren. "In manchen Teilen dieser Erde, etwa in Europa und Nordamerika, haben wir uns eingerichtet, und viele haben offenkundig die leise Hoffnung, es möge doch noch eine Weile so weiter gehen mit unserem Leben und unserem Wohlstand", sagte er.
Die EKD-Synode will bei ihrer Jahrestagung Klarheit über die genauen Kosten für die Feiern zum 500. Reformationsjubiläum bekommen. Synodenpräses Irmgard Schwaetzer sagte, es gehe nicht nur um die Tätigkeit und Finanzierung des Vereins Reformationsjubiläum, der vor allem für zentrale Aktivitäten in Wittenberg gegründet worden war, sondern um das Jubiläum insgesamt. Bedford-Strohm hatte kürzlich mitgeteilt, dass die evangelische Kirche ein Defizit erwartet, unter anderem durch zuvor nicht kalkulierbare Kosten für Sicherheitsmaßnahmen und die Weltausstellung Reformation in Wittenberg, deren Besucherzahlen hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind.
Die evangelische Kirche hatte bis Ende Oktober 500 Jahre Reformation gefeiert. 1517 hatte Martin Luther (1483-1546) seine 95 Thesen gegen die Missstände der Kirche seiner Zeit veröffentlicht, die er der Überlieferung nach am 31. Oktober an die Tür der Wittenberger Schlosskirche nagelte. Der Thesenanschlag gilt als Ausgangspunkt der weltweiten Reformation, die die Spaltung in evangelische und katholische Kirche zur Folge hatte.