Interessiert schauten die Augen der Öffentlichkeit auf den Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Moskau. Seit 2010 war kein deutscher Präsident mehr in Russland. Seitdem sind die Beziehungen deutlich abgekühlt. Die Krim-Annexion und die darauffolgenden Sanktionen belasten das Verhältnis. In seiner neuen Rolle, nicht mehr als Außenminister, sondern als Staatsoberhaupt, lenkte Steinmeier aber bewusst den Fokus auch auf andere wunde Punkte im Verhältnis zu Russland: die Lage der Menschenrechte und die noch immer schwierige Vergangenheitsbewältigung.
Stückweise Rückeroberung des Kirchenbaus
Anlass von Steinmeiers Reise war die Rückgabe der Kathedrale St. Peter und Paul in Moskau an die Evangelisch-Lutherische Kirche in Russland am Mittwoch. Zur Zeit des Sowjetherrschers Josef Stalin war sie 1938 enteignet worden, der Pfarrer war zwei Jahre zuvor verhaftet und erschossen worden. Seit dem Ende der Sowjetunion eroberten sich die Lutheraner die Kirche stückweise zurück, schafften erst eine Kapelle und richteten die Kirche schließlich wieder her, die zwischenzeitlich als Kino und Diafilm-Fabrik gedient hatte.
Seit längerem versuchte die evangelische Minderheit - rund 19.000 registrierte Erwachsene gehören in Russland der lutherischen Kirche an - das Gebäude zurückzuerhalten. Das Reformationsjubiläum im laufenden Jahr könnte ein guter Anlass sein, baten Steinmeier und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, im Januar den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin.
Dass ihr Wunsch kurz vor Ende des Festjahres zum 500. Jahrestag des Thesenanschlags von Martin Luther (1483-1546) erfüllt wurde, verstehen sie als Geste Russlands. Steinmeier, so hatte es vorher aus dem Bundespräsidialamt geheißen, machte die Rückgabe nicht nur zum Anlass, sondern zur Voraussetzung einer Reise, die angesichts der schlechten Beziehungen so derzeit nicht möglich gewesen wäre.
Dass Steinmeier aus Dankbarkeit für die Kirchenrückgabe aber bei seinem Besuch nicht nur leise Töne anschlagen wird, machte er bereits klar, als er vorher in einem Interview mit einer russischen Tageszeitung das Schicksal des in diesem Jahr verhafteten Regisseurs Kirill Serebrennikov ansprach. Wie nach dem Treffen mit Putin aus Delegationskreisen zu vernehmen war, konfrontierte er auch den russischen Präsidenten direkt mit dem Fall, bei dem ein politischer Hintergrund vermutet wird. Steinmeier wählte insgesamt deutliche Worte gegenüber dem russischen Präsidenten. Bei der gemeinsamen Begegnung mit der Presse sprach er von "Entfremdung". Von normalen Beziehungen sei man weit entfernt.
Steinmeier besuchte vor dem Gesprächen im Kreml auch den Moskauer Sitz der Menschenrechtsorganisation Memorial. Er ließ sich durch die Archive des Menschenrechtszentrums führen, in denen Briefe und andere Dokumente aus der Zeit des Terrors unter Josef Stalin lagern. Lange Zeit habe es in Russland eine Offenheit gegeben, Geschichte ehrlich aufzuarbeiten, erzählen Mitarbeiter.
Lob und Tadel für Putin
Damit sei es teilweise aber wieder vorbei. Die Mitarbeiter von Memorial klagen zum Einen über das 2012 eingeführte sogenannte Agentengesetz, das Finanzierung aus dem Ausland erschwert oder verbietet. Memorial kämpft nach Aussagen der Mitarbeiter vor allem mit der Bürokratie, auch wenn beispielsweise finanzielle Unterstützung aus Deutschland weiter fließen kann. Zudem beklagen die Mitarbeiter, dass die russische Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg unter Putin wieder mehr zur patriotischen Erzählung über den Großen Vaterländischen Krieg wird. Andererseits loben sie das im vergangene Jahr eingerichtete Gulag-Museum und ein staatliches Denkmal für die Opfer Stalins, das demnächst in Moskau eingeweiht werden soll.
Die schwere, teilweise gemeinsame Vergangenheit spannte bei Steinmeiers Reise damit den Bogen in die Gegenwart. Für die Zukunft schlug Steinmeier einen stärkeren und regelmäßigeren Kultur- und Wissenschaftsaustausch zwischen Deutschland und Russland vor. Aus Delegationskreisen hieß es, man könne in den nächsten Jahren über gemeinsame Anlässe zum Gedenken an historische Wegmarken nachdenken. Daten gibt es genug: In Deutschland beschäftigt Museen und Veranstaltungen gerade der 100. Jahrestag der russischen Revolution. Und 2019 jährt sich der Fall der Mauer zum 30. Mal.