So könne etwa ein besonderes Musikerlebnis, eine überwältigende Landschaft oder ein merkwürdiger Zufall religiöse Gefühle auslösen: "Das übersteigt unsere tägliche Orientierung und kann dann unbewusst religiös aufgeladen werden", erläuterte der Wissenschaftler. Hauschild hat im Sommersemester 2017 die Hans-Blumenberg-Professur am Münsteraner Exzellenz-Cluster "Politik und Religion" inne.
Auch ein Konflikt könne eine Erfahrung mit dem Übernatürlichen sein, sagte er. Ein Gegenüber im Streit könne leicht in übertriebener Weise "dämonisiert" werden. Religiöse Gefühle im Alltag könnten sowohl Menschen entwickeln, die einer organisierten Religion wie etwa dem Christentum angehören als auch Menschen ohne Religionszugehörigkeit. Das menschliche Bewusstsein bestehe aus mehreren Ebenen, führte der Ethnologe aus: Einer inneren und einer äußeren Wahrnehmung sowie Erinnerungen. "In unseren Erinnerungen sind die übernatürlichen Größen schon da." Sie beeinflussten die innere und äußere Wahrnehmung, weil die Vermittlung zwischen diesen Ebenen nie vollkommen rational gelinge.
Je einflussärmer eine organisierte Religion werde, desto stärker blühten die religiösen Gefühle in anderen Bereichen wie Ernährung, Fitness oder Gesundheit auf, betonte der Wissenschaftler. "Es gibt eine gemeinsame Erfahrungs-Basis zwischen religiös organisierten Menschen und Menschen, die keiner organisierten Religion angehören." So spiele beispielsweise das Tabu überall eine Rolle. Während etwa im Islam Mohammed-Karikaturen tabuisiert würden, seien im Veganismus alle tierischen Produkte verboten und manchmal dämonisiert.
Als einen weiteren Bereich nannte der Ethnologe den Tourismus: "Dort werden quasi-religiöse Begegnungen mit Naturschönheit praktiziert." Auch eine Alkohol- oder Drogensucht beinhalte Formen der Ekstase oder Beruhigung, des sogenannten Flow, die sich vergleichbar in Religionen finden ließen, sagte Hauschild. Es sei jedoch nicht richtig, von Ersatzreligionen zu sprechen: "Das würde ja heißen, dass es richtige und falsche Religionen gibt."