Nach der Befreiung von Mossul hat Amnesty International auch Vorwürfe gegen die irakische Armee und die US-geführten Koalitionstruppen erhoben. Im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) seien unverhältnismäßig schwere Waffen eingesetzt worden, erklärte die Menschenrechtsorganisation am Dienstag in London. So seien bei einem US-Luftangriff auf die irakische Stadt am 17. März mehr als 100 Zivilisten getötet worden. Dem IS legten die Vereinten Nationen schwere Kriegsverbrechen zur Last.
Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Ra'ad al-Hussein, erklärte in Genf, Kinder, Frauen und Männer hätten unter dem IS in Mossul die "Hölle auf Erden" durchlitten. Zehntausende Menschen seien vertrieben und als Schutzschilde missbraucht worden. Umso wichtiger ist es laut Al-Hussein, dass bei der Aufarbeitung der Terrorherrschaft Recht und Gesetz im Mittelpunkt stünden. Für Rache dürfe kein Platz sein. Die Terrormiliz hatte die Stadt 2014 unter ihre Kontrolle gebracht. Am Montag erklärte die irakische Regierung die Stadt nach monatelangen Kämpfen für befreit.
Amnesty zufolge verfehlten US-geführte Koalitionstruppen und irakische Streitkräfte im Kampf um Mossul regelmäßig ihr militärisches Angriffsziel. Stattdessen seien Zivilisten verletzt und getötet worden, heißt es in einem Bericht. Amnesty stützt sich unter anderem auf Interviews mit 151 Bewohnern von West-Mossul sowie mit medizinischem Personal und Rüstungsexperten.
Dokumentiert wurden den Angaben zufolge insgesamt 45 Angriffe mit mindestens 426 getöteten Zivilisten. Neun Angriffe durch irakische Streitkräfte und die US-geführten Koalitionstruppen seien analysiert worden. "Die Tatsache, dass der IS Menschen als Schutzschilde einsetzt, entbindet die Truppen der Gegenseite nicht von ihrer rechtlichen Verpflichtung, Zivilpersonen zu schützen", erklärte die Amnesty-Nahostexpertin Lynn Maalouf. Sie forderte eine unabhängige Kommission, um mögliche Verstöße gegen das Völkerrecht zu untersuchen.
UN-Hochkommissar Al-Hussein erklärte mit Blick auf den IS, von mehr als 3.300 verschleppten Jesiden fehle noch jede Spur. Berichte, wonach auch irakische Soldaten Bewohner aus Mossul vertrieben hätten, nannte er verstörend. Er begrüßte die Ermittlungen der irakischen Justiz gegen Soldaten. Al-Hussein forderte, mutmaßliche Täter aus den Reihen der Armee vor Gericht zu stellen.
Bei den Gefechten um Mossul wurden nach Angaben der Hilfsorganisation Handicap International mehr als eine Million Menschen aus der Stadt vertrieben. Etwa 200.000 seien bisher in ihre Häuser zurückgekehrt und diese Zahl steige täglich, obwohl die Gefahr nicht vorüber sei. Besonders gefährlich seien verstreute Sprengkörper und explosives Kriegsmaterial. Dies könne die Zivilbevölkerung noch über Jahrzehnte gefährden und den Wiederaufbau behindern.