Der Sitz des Erzbistums Nigeria der Lutherischen Kirche Nigeria liegt im Nordosten Nigerias, in der Region, die Boko Haram seit Jahren mit ihrem Terror überzieht. Ist Ihre Wahl zum Präsidenten des Lutherischen Weltbundes (LWB) auch eine Chance weltweit mehr Aufmerksamkeit für die weitestgehend ingorierten Krise in der Region zu gewinnen?
Musa Panti Filibus: Ich muss gestehen, die Wahl hat mich überrascht. In erster Linie ist es wohl eine Anerkennung der "Gabe", die die afrikanischen Kirchen der Welt schenken können. Natürlich ist es auch eine Chance für die Region zur weltweiten Gemeinschaft beizutragen und damit auch die Möglichkeiten des Lutherischen Weltbundes zu stärken, auf solche Krisen besser zu reagieren. Gleichzeitig ist es auch eine sehr große Verantwortung, die mir vom LWB übertragen wurde.
Ist das auch eine Chance für die Region? Seit Jahren werden Gräueltaten an der Zivilbevölkerung begangen. Mehr als zwei Millionen Menschen haben ihr Zuhause verloren. Ihr Amtssitz wurde zur Zufluchtsstätte für Flüchtlinge und die meisten Vertriebenen haben Zuflucht in Privathäusern gefunden.
Filibus: Ich würde nicht sagen, dass die Situation total ignoriert wurde. Die Lage ist bekannt, es wurde berichtet, die Hilfsorganisationen tun, was sie können. Der Konflikt hat jedoch keine Priorität.
Was wirklich fehlt, ist ein "diplomatischer Ansatz", der die Zusammenarbeit von religiösen Autoritäten zur Konfliktlösung gestaltet, der globale Autoritäten zum Handeln bringt, um so diesen Aufstand unter Kontrolle zu bringen. Es sind doch viele Fragen zu den Wurzeln des Konfliktes zu klären, Dinge, die nicht nur in Nigeria organisiert wurden. Es gibt politische Machenschaften, die im Verdeckten stattfinden. Es sind doch nicht einfach Jugendliche und Arbeitslose, die da agieren. Diese Aspekte müssen auf der internationalen Ebene, unter Einbindung der Vereinten Nationen, geklärt werden. Dieser Konflikt hätte früher eingedämmt werden müssen, einschließlich dieser gefährlichen Waffen und der Wurzeln dieses Konfliktes. All diese Fragen müssen auf der "diplomatischen Ebene" geklärt werden. Wir müssen der Regierung die Folgen für die Region aufzeigen. Insofern kann man sagen, dass der Konflikt ignoriert wurde, denn die Bereitschaft sich zu engagieren fehlt.
Der Weltflüchtlingstag steht ganz im Zeichen der Europäischen Migrationskrise, die zur Folge hat, dass Tausende von Afrikanerinnen und Afrikaner in der Wüste und im Meer den Tod gefunden haben. Was ist die afrikanische Perspektive zu dieser Krise?
Filibus: Wenn wir über Flüchtlinge und Migranten in der Wüste und auf dem Mittelmeer sprechen, dann müssen wir festhalten, dass es Menschen sind, die aus verschiedenen Gründen, sei es aus Sorge um die Sicherheit ihres Lebens oder die Unmöglichkeit den Lebensunterhalt dort zu verdienen, wo sie leben, sich auf eine gefährliche Migrationsroute begeben. Sie tun dies in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Unglücklicherweise sind sie nicht immer willkommen. Ich sage ausdrücklich "nicht immer", denn es gibt Orte, wo die Menschen willkommen sind, wie zum Beispiel in Kenia. Aber an vielen Orten sind die Menschen nicht willkommen, es gibt Ängste, es gibt Bedenken.
Aus der afrikanischen Perspektive möchte ich sagen, dass die Weltgemeinschaft uns Verantwortung schuldet. Verantwortung und Sorge für Menschen, die gezwungen sind ihr Zuhause zu verlassen; nicht, weil sie einfach mal den Wunsch verspüren auszuwandern und ihr Leben aufs Spiel zu setzen, sondern weil bestimmte Umstände sie zwingen zu fliehen. Die Weltgemeinschaft hat die Verantwortung für ihre Mitmenschen zu sorgen, die verschwinden, weil ihre Wohnorte unerträglich werden.
Aber auch die jeweiligen Regierungen haben die Verantwortung eine Umgebung zu schaffen, wo Menschen sich sicher fühlen, wo sie respektiert werden, in Würde leben und arbeiten können. Dies hat eine politische Dimension. Es gibt Kräfte, die uns spalten und auch religös-verbrämte Kräfte, die Angst verbreiten und Menschen zur Flucht zwingen.
Welche Aufgabe sehen Sie in der Flüchtingsarbeit?
Filibus: Weiter machen mit dem, was wir immer getan haben. Die Flüchtingsarbeit der Lutherischen Kirchen hat in der Zeit nach dem zweiten Weltkieg begonnen. Die Heilige Schrift sagt, dass wir Menschen, die leiden, insbesondere diejenigen, die fliehen, um ihr Leben zu retten, die vertrieben wurden und keinen Ort zum Bleiben haben, willkommen heißen und unsere Arme ausbreiten sollen, um ihnen Schutz zu bieten. Dies kann eine große Herausforderung sein, denn die Kirche ist eine Gemeinschaft der Armen. Alle, die die Möglichkeit haben willkommen zu heißen, müssen dies tun. Dies ist kein Aufruf, es ist Verpflichtung, weil es das Herzstück des Christentums ist.