Ein deutliches Anwachsen judenfeindlicher Vorfälle sei vor allem in Frankreich und Großbritannien zu beobachten, mit einer Steigerung von bis zu 36 Prozent im vergangenen Jahr. Eine geringere Steigerung gebe es auch in Deutschland, sagte die Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission, Katharina von Schnurbein, am Rande eines Symposiums der "Initiative 27. Januar" am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Sowohl physische Attacken als auch die Zahl der Sachbeschädigungen nähmen zu.
Schnurbein ist seit Dezember 2015 Koordinatorin der Europäischen Kommission zur Bekämpfung von Antisemitismus. Zuvor gehörte sie zum Beratergremium des EU-Kommissionspräsidenten und war zuständig für den Dialog mit Kirchen und Religionsgemeinschaften.
Antisemitische Vorfälle würden zunehmend von Rechtsextremen, aber auch von Linksextremen und radikalisierten Muslimen verursacht, sagte Schnurbein. "Dabei geht es nicht um Neuankömmlinge, sondern es sind eher radikalisierte Muslime, die hier schon länger leben", erklärte die EU-Expertin. Grundsätzlich gebe es in allen Gruppen mehr antisemitische Attacken.
Auch in der Mitte der Gesellschaft gebe es einen neuen Antisemitismus: "Es ist nicht mehr nur ein Phänomen der Extremen", betonte die Expertin. So berichteten etwa jüdische Organisationen, dass sie früher "nur anonyme Drohbriefe" erhalten hätten, inzwischen erreichten sie Drohungen und Beschimpfungen "mit dem vollen Namen und Adresse der Absender". Auch antisemitische Verschwörungstheorien - etwa dass Juden die Medien manipulierten und das Geld kontrollierten - hätten sich "sehr viel mehr in die Mitte der Gesellschaft gedrängt", sagte Schnurbein. Bedenklich sei zudem die Diskussion unter anderem von AfD-Politikern darüber, ob man die Geschichte des Holocaust noch einmal anders betrachten müsse.
Jüdische Bevölkerung hat zunehmend Angst
Schnurbein berichtete von einer zunehmenden Angst der jüdischen Bevölkerung in Europa. Viele Juden stellten sich persönlich die Frage, ob es für sie überhaupt eine Zukunft in Europa gebe. "Dass diese Frage - gut 70 Jahre nach der Schoah - überhaupt gestellt wird, ist ein großes Versagen", sagte die EU-Antisemitismusbeauftragte.
Schnurbein sprach sich dafür aus, vor allem Hassreden im Internet zu bekämpfen. Zudem müsse im Bildungsbereich die Präventionsarbeit gestärkt werden: "Jeder Lehrer sollte in der Lage sein, wenn er einen antisemitischen Vorfall sieht, diesen zu erkennen und zu melden."
Zudem plädierte Schnurbein dafür, in der Öffentlichkeit stärker auch ein positives Bild des Judentums in Europa darzustellen. "Gezeigt werden sollte, wie reich jüdisches Leben heute aussieht. Deutschland ist dafür ein besonders gutes Beispiel", sagte die EU-Antisemitismusbeauftragte.