Die deutsche Gesellschaft habe sich bequem mit dem Glauben eingerichtet, sagte die CDU-Politikerin. In der Not sei er da, aber im Alltag "fühlen wir uns wenig behindert von ihm". Mit den Flüchtlingen seien Menschen gekommen, die ihren Alltag wiederum stark nach ihrer Religion ausrichteten. Das sei in der deutschen Wahrnehmung oft "verstörend", betonte Kramp-Karrenbauer.
Der katholische Dechant Benedikt Welter stimmte dieser Beobachtung der deutschen Gesellschaft zu. "Ich kann als Mensch moralisch leben ohne Glauben", sagte er. Auch könne man sich für Humanität in Organisationen wie Human Rights Watch engagieren, ohne den Menschen als Ebenbild Gottes zu sehen. Die Kirchen stünden heutzutage viel stärker unter einer "Befragung von Plausibilität", sagte Welter. Menschen fragten sich, was der Mehrwert des Glaubens sei. "Die Frage nach Gott treibt die Menschen nicht mehr um", betonte der Dechant. Die Kirchen müssten sich darauf vorbereiten, was es bedeute, wenn in einigen Jahrzehnten weniger als die Hälfte der Deutschen Christen seien und das Christentum dann nicht mehr Leitreligion sei.
Das 500. Reformationsjubiläum ist Saar-Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer zufolge eine Chance, Impulse für die Zivilgesellschaft zu liefern. Deswegen sei es gut, dass die Feierlichkeiten nicht als "evangelische Folkloreveranstaltung" begangen würden. Impulse sollte auch die Reformationssynode bieten.
Protestanten aus Deutschland, Frankreich und Luxemburg trafen sich am Samstag, um über Kirche, Theologie, Liturgie und Gesellschafspolitik zu diskutieren. Dabei ging es auch darum, Impulse für die Kirche der Zukunft zu entwickeln. Referenten waren unter anderen die Marburger Theologie-Professorin Ulrike Wagner-Rau und der Journalist Reinhard Bingener von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Stärkere Vernetzung
Bingener erklärte, dass die Kirche oft als Nichtregierungsorganisation gesehen würde. Es sei wichtig, deutlich zu machen, dass die Kirche nicht eine reine Serviceagentur sei, betonte der Redakteur.
Der Theologe Steffen Schramm warb dafür, dass die Kirche sich vor Ort in den Gemeinden spezialisiert und nicht mehr alles anbietet. Die Kirche müsse sich überlegen, was sie tun kann und was nicht mehr. "Die Kirche muss sich verabschieden von dem Anspruch, eine fast staatliche Institution mit flächendeckendem Angebot zu sein", sagte der Leiter des Instituts für kirchliche Fortbildung in Landau. Vielmehr gehe es darum, exemplarisch und symbolisch vor Ort zu handeln. Die Gemeinden müssten entscheiden, was für ein Auftrag am jeweiligen Ort der wichtigste sei.
Die Marburger Theologie-Professorin Ulrike Wagner-Rau erklärte, dass die Kirche zurzeit immer noch eine sehr große Institution innerhalb der Gesellschaft sei. Sie warb für eine stärkere Vernetzung mit gesellschaftlichen Akteuren. Mit Blick auf die Pfarrer sprach sie sich für theologisch kompetente Gesprächspartner als Sprachhelfer für den Glauben aus. So wollten die Menschen nicht hören, wie sie glauben sollten, sondern wie sie ihren Glauben besser ausdrücken könnten.