Die deutsche Politik hat schockiert auf die Anordnung von Untersuchungshaft für den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel reagiert. "Die Entscheidung ist katastrophal. Das Vorgehen ist unverhältnismäßig hart", sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Untersuchungshaft könne bis zu fünf Jahre betragen. "Das ist einfach absurd", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe. Er forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dazu auf, "Tacheles mit Ankara" zu reden.
Auch "Reporter ohne Grenzen" forderte einen stärkeren Einsatz der Bundesregierung. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) stellte die Annäherung der Türkei an die EU infrage.
Ein Haftrichter in Istanbul hatte am Montagabend entschieden, dass der Korrespondent der Tageszeitung "Die Welt" nach knapp zwei Wochen im Polizeigewahrsam in Untersuchungshaft muss. Der 43-Jährige Yücel besitzt die türkische und deutsche Staatsbürgerschaft. Nach Angaben der Polizei wird gegen ihn wegen "Propaganda für eine terroristische Vereinigung" und "Aufwiegelung der Bevölkerung" ermittelt. Der Korrespondent hatte sich am 14. Februar freiwillig der Polizei gestellt, um Fragen zu seinen Berichten über eine Hacker-Attacke zu beantworten.
Merkel und Gabriel von türkischer Justiz enttäuscht
Kanzlerin Merkel bezeichnete das Vorgehen der türkischen Justiz am Montagabend als "bitter und enttäuschend". "Wir werden uns weiter nachdrücklich für eine faire und rechtsstaatliche Behandlung Deniz Yücels einsetzen und hoffen, dass er bald seine Freiheit zurückerlangt", erklärte die Kanzlerin. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärte: "Das ist eine viel zu harte und deshalb auch unangemessene Entscheidung."
Justizminister Maas sagte der "Welt" (Online-Ausgabe), wer Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit systematisch untergrabe, entferne sich von den Grundwerten der EU. "Hält sich die Türkei nicht an europäische Grundwerte, wird eine Annäherung an die EU nahezu unmöglich", sagte Maas. Er betonte zugleich: "Wenn Journalisten mundtot gemacht werden sollen, wenn Richter entlassen und eingesperrt werden, dann ist die Zeit der leisen Töne vorbei."
Die Linken-Politikerin Ulla Jelpke erklärte in Berlin, die von der Bundesregierung ausgedrückte Hoffnung auf ein rechtsstaatliches Verfahren gegen Yücel sei angesichts der Realität in der Türkei "geradewegs zynisch". Die Linke will den Fall Yücel am nächsten Mittwoch mit einer Aktuellen Stunde auf die Tagesordnung des Bundestags bringen. Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen machte im Sender n-tv unterdessen Grenzen der Einflussnahme der Bundesregierung deutlich. Weil Yücel den deutschen und türkischen Pass hat, behandele die Türkei ihn wie einen eigenen Staatsbürger "und wir haben deswegen keine konsularische Möglichkeit, uns direkt um den Fall zu kümmern", sagte Annen.
Medien und Journalisten-Organisationen machten derweil ihre Solidarität deutlich. Mit einer ganzseitigen Anzeige in mehreren Tageszeitungen forderten Journalisten und Autoren "Freiheit für Deniz!" Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner warf dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vor, er habe "die Einschüchterung kritischer Journalisten zum systematischen Mittel seines Regierungsstils erhoben". Yücels Behandlung als Verbrecher sei ein Signal: "So kann es jedem gehen, der sich solche Freiheiten nimmt", schrieb Döpfner auf "welt.de".
Die Bundesregierung dürfe nichts unversucht lassen, um den Journalisten freizubekommen, forderte "Reporter ohne Grenzen"-Geschäftsführer Christian Mihr am Dienstag im SWR. Die Autorenvereinigung PEN kündigte an, für die Freilassung Yücels kämpfen zu wollen. Die ARD-Fernsehchefredakteure und -Kulturchefs erklärten: "Wenn Journalisten wie Staatsfeinde behandelt werden, können wir nicht schweigen."
In einem Appell rief das Internationale Auschwitz Komitee dazu auf, die Pressefreiheit zu verteidigen. "Mit der Verfolgung von Journalisten beginnt der Tod der Pressefreiheit und der Tod der Demokratie", erklärte der Exekutiv-Präsident der Organisation von Holocaust-Überlebenden, Christoph Heubner. Das Komitee wollte mit einer Mahnwache gegenüber der türkischen Botschaft in Berlin am Dienstagnachmittag die Freilassung Yücels fordern. Für den späteren Nachmittag wurde auch eine Demonstration angekündigt. Der Deutsche Journalisten-Verband rief zur Teilnahme an Autokorsos auf, die in zehn deutschen Städten stattfinden sollten.