"Gauck war ein Seelsorger der Freiheit - keineswegs allein mit Pathos brillierend, sondern auch mit nüchternen, ermutigenden und Aktivität anstachelnden Analysen aktueller Problemlagen", sagte Oberreuter dem Evangelischen Pressedienst (epd). Gauck sei "kein Berufspolitiker, aber durch Diktaturerfahrung politisch geprägt und gestählt". Der ehemalige evangelische Pfarrer sei "ein Intellektueller, aber Kraft seines Berufs talentiert, sich verständlich zu machen, verbindlich, aber viel zu geradlinig, um der Artikulation des Notwendigen auszuweichen."
Zugleich würdigte der Passauer Politikwissenschaftler mit Blick auf die öffentliche Wirkung des deutschen Staatsoberhaupts die Verdienste der bisherigen Amtsinhaber. Trotz geringer Machtbefugnisse könne der Bundespräsident Akzente im politischen Diskurs setzen: "als moralische Instanz, Wächter über den politischen Stil und Anreger für Zukunftsperspektiven, letzteres sogar, wenn sie unbequem sind". Dies gelte etwa für die gegen Beharrung gerichtete "Ruckrede" Roman Herzogs oder Gaucks Appell an weiterreichende internationale Verantwortung.
Der erste Bundespräsident Theodor Heuss (1949-1959) habe "gleichsam den Stil des Amtes begründet und unprätentiös viel getan für die Beheimatung der Demokratie in einer verunsicherten Gesellschaft", erklärte Oberreuter. Zudem habe er den Deutschen zum 10. Jahrestag des 20. Juli 1944 die Verdienste des Widerstands gegen Hitler nahegebracht. "Richard von Weizsäckers (1984-1994) wichtigster Akzent war die moralische Verpflichtung auf die historische Schuld der Nazizeit, sein zweitwichtigster die Kritik an Entwicklungstendenzen der Parteiendemokratie", sagte der Politologe.
Mit dem "glücklosen und medial gejagten" Christian Wulff (2010-2012), der nach knapp 20 Monaten im Amt zurücktrat, verbinde sich die Öffnung zum Islam. Der Akzent, den Gustav Heinemann (1969-1974) gesetzt habe, sei "Friedfertigkeit und Versöhnung". Heinrich Lübke (1959-1969) und Horst Köhler (2004-2010) hätten die Aufmerksamkeit auf die Entwicklungsländer gelenkt. Walter Scheel (1974-1979), Karl Carstens (1979-1984) und Johannes Rau (1999-2004) hätten sich als "Bürgerpräsidenten" präsentiert, die Brücken zwischen Bürgern und Staat schlagen wollten.
Mit Blick auf die Wirkungsmöglichkeiten des Bundespräsidenten resümierte der Passauer Politologe: "Die Persönlichkeit, ihre Vertrauenswürdigkeit, Ausstrahlung und Darstellungskompetenz prägen Wirkung und Erinnerung, nicht zuletzt auch die Sensibilität für Stimmungen, Ängste, Verunsicherungen, die für präsidiale Ermutigung offen sind."