Die wachsenden rechtspopulistischen Einstellungen in der Bevölkerung sind nach Einschätzung des Bielefelder Konfliktforschers Wilhelm Heitmeyer keine Folge der Flüchtlingsbewegung. Schleichende Verschiebungsprozesse zu menschenfeindlichen Einstellungen habe es schon lange gegeben, schreibt der Gründer des Instituts für interdisziplinäre Konflikt und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld im "Tagesspiegel" (Sonntag). Eine Langzeitstudie des Instituts zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit habe bereits 2002 ein Potenzial von 20 Prozent unter den Deutschen ausgemacht.
Zwischen 2009 und 2011 sei dabei in dieser Gruppe das Gefühl der Einflusslosigkeit als eine Voraussetzung von Wut deutlich angestiegen. Ebenfalls angestiegen sei in diesem Zeitraum die Bereitschaft, an politischen Demonstrationen teilzunehmen sowie die individuelle Gewaltbereitschaft. "Dies alles entwickelt sich lange vor der Flüchtlingsbewegung", so Heitmeyer.
Die lange Zeit nur latent vorhandenen individuellen feindseligen Einstellungen "hinter den Gardinen" seien durch Mobilisierungsexperten unter anderem von "Pegida" und AfD in öffentliche Manifestationen verwandelt worden. Diesen sei es gelungen, unter anderem mit Hilfe der "(a)sozialen Netzwerke" die individuellen Ohnmachtsgefühle im Alltag in kollektive Machtfantasien in der Öffentlichkeit zu verwandeln, so der Wissenschaftler.
Heitmeyer warnt dabei davor, dass Menschenfeindlichkeit zunehmend als immer normaler angesehen wird. Der Normalitätsfirnis einer liberalen Gesellschaft sei nur noch ein dünner Anstrich. "Die in Jahrzehnten mühsam aufgetragenen Schichten um Schichten errungener Zivilität werden von politisch und publizistisch mächtiger werdenden Gruppen wieder abgetragen. Schicht um Schicht."