Schavan: Christen sind starke politische Kraft

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Schavan: Christen sind starke politische Kraft
"Wenn sich alle Christen in Europa einig wären, Flüchtlinge aufzunehmen, wären sie die stärkste politische Kraft und die Zyniker hätten keine Chance", sagte Schavan.

Die deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl in Rom, Annette Schavan, hat die besondere Bedeutung der katholischen und evangelischen Kirche in der "zerbrechlichen Welt" hervorgehoben. Christinnen und Christen seien aufgefordert, in "versöhnter Verschiedenheit" zum Beispiel für die Aufnahme von Opfern von Krieg und Gewalt zu wirken, sagte die CDU-Politikerin und frühere Bundesbildungsministerin am Samstag beim 15. Marburger Ökumenegespräch in der Aula der Alten Universität. "Wenn sich alle Christen in Europa einig wären, Flüchtlinge aufzunehmen, wären sie die stärkste politische Kraft und die Zyniker hätten keine Chance."

Sie halte es in dieser Frage mit Papst Franziskus und seiner Maxime, den "Weg in die Peripherie", zu den Armen und Entrechten, zu wagen, sagte die 1955 in Jüchen im Kreis Neuss geborene Schavan. Die nach eigener Aussage vom rheinischen Katholizismus geprägte Diplomatin und Politikerin brach zudem eine Lanze für die liberale Demokratie und die oft langwierigen Abstimmungsprozesse in Ausschüssen und Parlamenten. Eindringlich warnte sie vor Parolen und vermeintlich einfachen Lösungen. "Alles ist kompliziert und benötigt eine sorgfältige Abwägung. Selbst der erzielte Kompromiss bleibt umstritten." 



Auch der evangelische Pfarrer und DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer votierte für ein politisches Christentum und eine Kirche, "die für andere da ist". Als ältestes Kind einer Pfarrersfamilie habe er sich im SED-Staat ständig in einer "Verteidigungshaltung" befunden. Besonders erschüttert hätten ihn der Bau der Mauer 1961 und der Exodus von Künstlern wie Wolf Biermann und Manfred Krug im Jahr 1976. Dass schließlich aus den Kirchen heraus das "System und die Partei" friedlich gestürzt worden seien, erfülle ihn mit großer Dankbarkeit, sagte der 72-jährige Theologe. Im Hinblick auf die Ökumene zeigte sich Schorlemmer optimistisch. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) habe dazu geführt zu sagen: "Ja, ich habe auch einen Bischof in Rom."

Kritik der Lehren der Kirchen

Der 1930 in Mainz geborene Philosophiehistoriker Kurt Flasch legte hingegen ausführlich dar, warum er selbst vom katholischen Glauben abgefallen ist und warum er nicht an die Einheit der Kirche glaubt. Seine Kritik bezog sich allerdings weniger auf den Zustand der Kirchen als auf deren Lehren. Nach seinen intensiven philosophischen Studien blieben für ihn, den Rationalisten, viele "Widersprüche und unbeantwortete Fragen", zum Beispiel: "Wenn die Welt von Gott gemacht ist, warum muss sie dann erlöst werden?" Oder auch die Frage: "Können wir den Zorn Gottes beschwichtigen, indem wir seinen Sohn töten?"

Das Thema des Marburger Ökumenegesprächs lautete "Lebensgeschichten - Glaubensgeschichten". Die Stadt veranstaltete es mit der Philipps-Universität, den beiden großen christlichen Kirchen und der Evangelischen Allianz. Das Gespräch findet in der Regel alle zwei Jahre statt und nimmt Bezug auf das Marburger Religionsgespräch im Jahr 1529. Damals lud der hessische Landgraf Philipp die Kontrahenten Martin Luther und Ulrich Zwingli sowie weitere Reformatoren zu sich auf das Marburger Schloss ein, um den innerprotestantischen Streit um das Abendmahl beizulegen.