Präses Rekowski, kann die heutige Gesellschaft etwas von den Reformatoren lernen?
Manfred Rekowski: Die geschichtliche Situation damals und heute lässt sich nicht direkt miteinander vergleichen. Was sich jedoch sagen lässt: Martin Luther hat in einer Zeit, die stark von Ängsten geprägt war, auf Glaubensvergewisserung gesetzt. Der reformatorische Glaube ist auch heute anschlussfähig, weil er die Ängste der Menschen sehr ernst nimmt. Im Zentrum dieses Glaubens stehen das Vertrauen auf Gott und die Gewissheit, dass Gott den Menschen annimmt. Dadurch verändert sich das Leben des Einzelnen, aber auch Kirche und Welt kommen in Bewegung.
Welche Reformen brauchen westliche Gesellschaften und Demokratien?
Rekowski: Ich neige nicht dazu, das Jahr des 500. Reformationsjubiläums in Masterplänen zur Reform von Kirche und Welt münden zu lassen. Von Luther können wir aber lernen, dass christlicher Glaube immer auch zur Weltverantwortung führt: Es geht darum, Gott im Alltag der Welt zu dienen. Dies führt immer auch zu einer Pluralität in ethischen und politischen Fragen. Dem entspricht eine plurale Gesellschaft mit Parteien verschiedener Ausrichtung, in denen sich auch Christen engagieren. Ich habe großen Respekt vor Menschen, die Politik machen, häufig sehr viel leisten und dabei eine Menge Häme ertragen müssen. Ich wünschte mir mehr Respekt vor der Mühe, mit der diese Politiker um Lösungen ringen.
Welche Reformen braucht die Kirche heute?
Rekowski: Sie muss sich vor allem immer wieder auf den Kern des Glaubens besinnen und darüber nachdenken, was es in der aktuellen Situation heißt, reformatorisch Kirche zu sein. Das Motto kann also nicht heißen "Wir sind gut aufgestellt, weiter so". Die aktuellen Umbrüche fordern uns heraus und wir merken, dass Glaubensvermittlung kein Selbstläufer ist. Hier sind neue Antworten gefragt. Nachdenken müssen wir auch über das Kirchesein in Europa und die Ökumene. Bei vielen unserer kirchlichen Partner besteht eine hohe Bereitschaft, das Miteinander weiterzuentwickeln.
Die evangelische Kirche spricht im Blick auf das Reformationsjubiläum vom "Christusfest". Stehen die Gemeinsamkeiten mit der katholischen Kirche im Zentrum oder wird auch das Evangelische betont?
Rekowski: Reformatorischer kann man das Reformationsjubiläum gar nicht feiern als indem man es als Christusfest begeht. Solus Christus - das ist der Kern unseres gemeinsamen Glaubens. Zugleich schauen wir aber auch dankbar auf Dinge, die bei uns anders sind als in der katholischen Kirche. So gibt es bei uns Evangelischen die Frauenordination und wir haben ein anderes Amtsverständnis. Diese und andere Unterschiede gehören zu unserem Profil und werden nicht verschwiegen.
Wenn wir uns die gesellschaftlichen Herausforderungen anschauen, können wir aber getrost immer auch unterstreichen, was uns miteinander verbindet, um dann gemeinsam auf das zu schauen, was wir in Zeugnis und Dienst der Welt schuldig sind. Da sind wir als Kirchen gemeinsam stark gefordert.