Populistische Parteien profitieren einer Studie zufolge vor allem von den Globalisierungsängsten ihrer Wähler. Während eine Mehrheit der EU-Bürger (55 Prozent) die internationale Verflechtung als Chance begreife, empfinde sie fast jeder Zweite (45 Prozent) als Gefahr, heißt es in der am Mittwoch veröffentlichten EU-weiten Umfrage "eupinions" der Bertelsmann Stiftung. Ängste vor der Globalisierung gehen nach Ansicht des Angstforschers Borwin Bandelow auf jahrhundertealte Befürchtungen zurück.
In der Studie heißt es weiter: Je niedriger die Bildung und je höher das Alter, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen Globalisierung als Gefahr empfinden. Globalisierung als Bedrohung empfindet danach auch die große Mehrheit der Befragten, die mit rechtsnationalen und populistischen Parteien sympathisieren. Die Umfrage ist den Angaben zufolge repräsentativ für die EU und die neun größten Mitgliedsstaaten.
Früher war Angst ein Überlebensvorteil
Die Ängste seien in Österreich und Frankreich mit 55 beziehungsweise 54 Prozent am größten. In Großbritannien, Italien und Spanien dagegen lebten mit jeweils mehr als 60 Prozent die meisten Globalisierungsoptimisten - etwas mehr als in Deutschland, das genau im EU-Durchschnitt liegt.
Anhänger rechtsnationaler und populistischer Parteien fürchten den Angaben zufolge besonders häufig die Folgen der Globalisierung - über alle Ländergrenzen hinweg. Das gelte etwa für 78 Prozent der Unterstützer der AfD in Deutschland, für 76 Prozent beim französischen Front National und 69 Prozent bei der FPÖ in Österreich.
"Die etablierten Parteien müssen die Angst vor der Globalisierung in ihre Arbeit einbeziehen", sagte der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Aart de Geus. Man dürfe das Werben um besorgte Bürger nicht den Populisten überlassen. Bei linken Parteien spielten Globalisierungsängste auch eine Rolle, doch sei der Faktor "nicht so bestimmend", hieß es.
Der Angstforscher Bandelow sagte dazu: "Früher war es ein Überlebensvorteil, Angst vor Fremden zu haben." Als die Menschen noch "in Stämmen organisiert waren, war es wichtig, den eigenen Stamm zu unterstützen und andere bis aufs Blut zu bekämpfen. Die Ängste, die daraus entstanden, sind bis heute in jedem Menschen präsent", sagte der Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Angst wird im Gehirn in zwei Gebieten verarbeitet, die nicht notwendigerweise zusammenarbeiten, wie Bandelow erläuterte. Es gebe einen intelligenten Teil, der rationalen Argumenten zugänglich sei und auch die positiven Seiten der Globalisierung sehe. "Und es gibt einen primitiven Teil. Dort halten sich solche Urängste hartnäckig." In diesem Teil seien beispielsweise auch Ängste vor Spinnen oder Hunden erhalten geblieben. "Auch solche Ängste waren früher für das Überleben wichtig, heute stören sie."
Im primitiven Teil des Gehirns
Auffällig an den Umfragewerten ist laut Bertelsmann Stiftung, dass die Ängste einhergingen mit einer ablehnenden Haltung gegenüber Politik und Gesellschaft. Fast die Hälfte der Pessimisten in Europa würde demnach für einen EU-Austritt stimmen, nicht einmal jeder Zehnte vertraue den Politikern. Nur 38 Prozent seien zufrieden mit der Demokratie. Bei den Optimisten seien über 80 Prozent für einen Verbleib in der EU, mehr als die Hälfte äußere Zufriedenheit mit der Demokratie.
Nach Aussage des Angstforschers Bandelow können Demagogen "primitive Ängste wie Xenophobie leicht auslösen und für sich ausnutzen". Mit ihrer "einfachen Sprache und einfachen Botschaften bedienen sie die Ängste, die ohnehin vorhanden sind." Da solche Befürchtungen im primitiven Teil des Gehirns angesiedelt seien, könnten Politiker demokratischer Parteien dem nicht unmittelbar mit intellektuellen Argumenten entgegenwirken.
Die Umfrage unter rund 15.000 Bürgern aller 28 EU-Staaten ergab laut Bertelsmann Stiftung außerdem eine Abhängigkeit der Haltung zur Globalisierung von Bildungsniveau und Alter der Befragten: Höherqualifizierte sehen die Verflechtung mit 62 Prozent häufiger positiv als Geringqualifizierte (53 Prozent). Am aufgeschlossensten seien junge Europäer zwischen 18 und 25 Jahren mit einem Anteil der Optimisten von 61 Prozent.