Was wahrhaft christlich ist, ist nicht nur eine Frage der Reformation, sondern schwingt auch in aktuellen Fragen mit. Egal ob es um Flüchtlingspolitik, Sozialpolitik oder die Auseinandersetzung mit der AfD geht, immer wieder wird auch der Stellenwert und der Kern des christlichen Glaubens diskutiert. Die "Zeit" hat Prominente gefragt, was für sie der Kern des Glaubens, die Botschaft des Christentums ist und was es heute bedeutet, Christ oder Christin zu sein. Dabei bietet die Auswahl der befragten Prominenten ein breites Spektrum von Protestanten, Katholiken, Juden, Muslime und Atheisten verschiedenster Professionen. Sie alle haben in einer These zum Christentum der heutigen Zeit die Frage "Was ist heute christlich?" beantwortet.
So hat das Christentum als Religion der Nächstenliebe nach der These von Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin der Linken, immer auch eine politische und gesellschaftliche Dimension: "Eine Gesellschaft, die in erster Linie auf Eigenliebe und Egoismus setzt, in der Reichtum ebenso erblich ist wie Armut, in der die profitabelsten Konzerne die niedrigsten Steuern zahlen, während viele Menschen trotz harter Arbeit nicht mehr zu wirklichem Wohlstand gelangen, ist nicht nur ungerecht, sondern auch unchristlich. Sie muss verändert werden."
Thomas Hitzlsperger, ehemaliger Fußballnationalspieler, orientiert sich mit seiner These eher an seinen Erfahrungen als Fußballprofi, denn auch auf dem Fußballplatz müsse man oft blitzartig entscheiden: "Mobbing? Sofort einschreiten! Rassismus: reflexartig reagieren! Bashing? Partei ergreifen. Dazwischengehen. Dazu muss man kein Heiliger sein. Nur ein bisschen so, wie damals Martin Luther."
Und Mouhanad Khorchide, Professor für Islamwissenschaft in Münster, formuliert in seiner These die Unwissenheit über das Christentum als großes Problem aktueller Debatten: "Die aktuelle Flüchtlingsproblematik ruft die christliche Nächstenliebe auf den Plan. Aber gerade bei denen, die am lautesten nach der Verteidigung der europäischen Kultur und der christlichen Religion schreien, merkt man am deutlichsten, dass sie eben das Christentum kaum kennen. Da ist heute eine Reformation im Sinne einer intellektuellen und spirituellen Nachrüstung dringend notwendig."
Neben den zum Reformationsjubiläum veröffentlichten Thesen von Prominenten, die wie die These von EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm auch in Form von Selfie-Videos eingereicht wurden, sammelt die "Zeit" auf Twitter und Facebook unter dem Hashtag #wasistchristlich auch Thesen von Leserinnen und Lesern.