"Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde …" Worte aus der Schöpfungsgeschichte, die für die Trauung eines heterosexuellen Paares angemessen sein können, für die Segnung zweier Männer oder zweier Frauen aber skurril wirken würden. Deswegen hat Eric Haußmann, Pfarrer der Berliner Marienkirche, vor der ersten Trauung eines Männerpaares in seiner Landeskirche Anfang August erst einmal nachgeschlagen, welche Bibeltexte er als Lesungen verwenden kann.
Dabei sei die "Ausführungs- und Ergänzungshilfe … zur Agende" der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) "sehr hilfreich" gewesen, sagt Haußmann. Als einzige EKD-Gliedkirche in Deutschland hat die EKBO damit ein Buch herausgegeben, das den Rang einer Agende hat und verbindlich ist. Zwar sind die Berliner Gemeinden in den bisherigen Segnungsgottesdiensten auch ohne Ablauf- und Formulierungshilfen zurechtgekommen, doch "diese Ausführungs- und Ergänzungshilfe schafft einen verlässlichen Leitfaden für alle", sagt Haußmann. "Wir sagen jetzt 'Traupaar'", hebt er "eine wunderpaare neue Wortschöpfung" hervor. Das Wort 'Brautpaar', meint Haußmann, sei ja selbst für heterosexuelle Paare "schon seltsam geworden".
Die Trau-Agende nehmen und selber umtexten
Doch zurück zu den Lesungen: Kolosser 3,12-15 (ein Text über das Zusammenleben in Liebe) und 1. Mose 2,18 hatte er für das Traupaar Kretschmer-Schmidt ausgewählt, den alttestamentlichen Text allerdings in der Übersetzung von Buber und Rosenzweig ("Er, Gott, sprach: Nicht gut ist, dass der Mensch allein sei, ich will ihm eine Hilfe machen, ihm Gegenpart."), um das Wort "Gehilfin" (Luther 1984) zu vermeiden. So muss bei gleichgeschlechtlichen Paaren hier und da auf einzelne Formulierungen geachtet werden, insgesamt ist es aber gar nicht so schwierig, passende Bibeltexte zu finden. Statt des eingangs zitierten Verses aus 1. Mose 1, 27-28 oder Jesu Worten aus Matthäus 19, 4-5 ("Der im Anfang den Menschen geschaffen hat, schuf sie als Mann und Frau und sprach (1.Mose 2,24): 'Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seiner Frau hängen, und die zwei werden ein Fleisch sein'") können geschlechtsneutrale Texte gewählt werden. Infrage kommen 1. Samuel 18,1-3 (für zwei Männer), Prediger 4,9-11, Hoheslied 8,6-7 oder Ruth 1, 16-17 (bezieht sich im Original auf eine Schwiegermutter-Schwiegertochter-Beziehung). Auch einige neutestamentliche Texte, die eigentlich eher zur geschwisterlichen Liebe ermahnen, sind für Trauungen verwendbar, zum Beispiel Johannes 15,12, Römer 12,9ff, Römer 15,5-7, 1. Korinther 13,1-13, Philipper 2,1-5, Kolosser 3,12-15, Galater 6,2 oder 1. Johannes 4, 7ff.
Man kann also einen Segnungsgottesdienst gut gestalten, ohne ständig "Mann und Frau" zu sagen. Die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR) , die Evangelischen Landeskirche in Baden und die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), die alle drei – ebenso wie die EKBO – homo- mit heterosexuellen Paaren rechtlich gleichgestellt haben, bieten für Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare keine eigenen Materialien an – "konsequenterweise", sagt EKHN-Pressesprecher Volker Rahn. In der hessen-nassauischen Kirche gebe es übrigens auch für Mann-Frau-Trauungen keine verbindliche Agende, sondern nur "eine Anregung mit Texten und Abläufen", erklärt Rahn, weil die "Autonomie der einzelnen Gemeinden hochgeschätzt" werde. Bei einer Segnung – so heißen hier die Feiern für gleichgeschlechtliche Paare trotz der rechtlichen Gleichstellung mit der Trauung – müssten die Pfarrerinnen und Pfarrer die Texte einfach anpassen. Genauso ist es in der rheinischen Landeskirche, wo die Formulare für kirchliche Trauungen verwendet werden. "Die gottesdienstlich Handelnden müssen das derzeit noch selbst sprachlich auf gleichgeschlechtliche Paare hin adaptierten", sagt EKiR-Pressesprecher Jens Peter Iven.
Handreichungen, Materialien, liturgische Vorschläge
Alle Landeskirchen, die (wie die rheinische) Agenden der Evangelischen Kirche der Union (UEK) verwenden, bekommen bald eine Arbeitshilfe – die badische zum Beispiel wartet darauf, anstatt selbst tätig zu werden. Der Liturgische Ausschuss der UEK sei dabei, eine Handreichung für Trauungen beziehungsweise Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare zu erarbeiten, erklärt der Theologische Referent der UEK, Martin Evang. In der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) wird laut einem Beschluss der Bischofskonferenz keine eigene Agende für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare entwickelt, wie Bischof Gerhard Ulrich auf der VELKD-Synode im November 2016 berichtete. Stattdessen solle der Liturgische Ausschuss der VELKD Standards erarbeiten und die gemeinsam mit der UEK diskutieren.
Die Liturgie-Experten der UEK und eventuell der VELKD müssen bei ihrem Vorhaben keineswegs bei Null anfangen. Denn die Landeskirchen in der Pfalz, Oldenburg, Kurhessen-Waldeck, Hannover, Mitteldeutschland, Westfalen haben, ebenso wie jüngst die Nordkirche und die Landeskirche Sachsens, für ihre Gemeinden Handreichungen oder Materialsammlungen herausgegeben, mit denen Segnungsgottesdienste gestaltet werden können. Die Evangelische Kirche der Pfalz stellt ihren "liturgischen Vorschlägen" von 2002 (!) eine ausführliche Erörterung über Homosexualität und Kirche voran, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Oldenburg betont in ihrer "Handreichung" von 2004 den Unterschied zur Trauung von Mann und Frau - es gibt kein Trauversprechen und keinen Ringwechsel. Neuere "Materialien für den Gottesdienst" hat 2013 die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) erstellt, darin finden sich ein Ablaufvorschlag sowie Text- und Liedvorschläge, ebenso wie in den "Materialien für den Gottesdienst" der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, in der "Arbeitshilfe" der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland von 2015 und in den "liturgischen Materialien" der Evangelischen Kirche von Westfalen, ebenfalls aus dem Jahr 2015. Die Nordkirche hat auf ihrer Synodentagung Ende September 2016 öffentliche Segnungen als Amtshandlungen mit Eintrag ins Kirchenbuch beschlossen und dazu auch gleich eine "liturgische Handreichung" (ab Seite 6) veröffentlicht. Der Ablaufvorschlag mit Textbausteinen gilt als "Empfehlung" und soll über die Zwischenzeit hinweghelfen, bis eine mögliche Segnungs-Agende der VELKD fertig ist. Zuletzt hat im Oktober 2016 die Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens Segnungen im Gottesdienst erlaubt und dafür eine Handreichung herausgegeben, in der sogar ein "Treueversprechen" vorgesehen ist.
Die übrigen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland stellen keine Materialien für Segnungsgottesdienste zur Verfügung – aus verschiedenen Gründen. In der sehr kleinen Evangelischen Landeskirche Anhalts gab es bisher erst eine Segnung, der Bedarf ist also kaum vorhanden. In der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern sind Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare keine Gottesdienste, sondern seelsorgliche Handlungen, ebenso wie in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig und in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe. In der Bremischen Evangelischen Kirche genießen die Gemeinden eine große Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit und segnen daher gleichgeschlechtliche Paare (oder auch nicht), wie sie es für richtig halten. Genauso hält es die Evangelisch-reformierte Kirche, wo die traditionell eigenständigen Gemeinden bei Bedarf auf die Materialien aus Westfalen zurückgreifen. Auch die kleine Lippische Landeskirche benutzt in ihren öffentlichen Segnungsgottesdiensten die Materialsammlung der weit größeren westfälischen Nachbarin. In der Evangelischen Landeskirche in Württemberg sind Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare nicht erlaubt.
Dieser Artikel wurde am 19. Oktober (Sachsen) und am 4. November 2016 (VELKD-Synode) aktualisiert.