"Es fehlen die Grautöne. Bei Mutter Teresa zeigt sich eine deutliche Schwarz-Weiß-Malerei. Da gibt es entweder harte Kritik oder ganz große Heiligsprechung", sagte die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Halle dem Evangelischen Pressedienst (epd). Oft würden die Motive für Mutter Teresas Handeln falsch wiedergegeben. Bei der "sprichwörtlich gewordenen Ikone der Nächstenliebe" werde der theologische Aspekt kaum beachtet.
"Biografien sind sehr häufig von Stereotypen überlagert", bemängelte Witten, die für ihre Dissertation zum diakonischen Lernen an Biografien den Hanna-Jursch-Preis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erhält. Die Brüchigkeit der Biografien werde zu wenig gezeigt, obwohl sie ein viel größeres Lernpotential mitbringe: "Man sieht, dass selbst große Helden eigentlich nicht so perfekt sind, wie sie auf den ersten Blick wirken." Daher dürfe man nicht verschweigen, dass "es legendarische Überformungen gibt, die wenige oder keine realen Anhaltspunkte haben. Sonst werden die Lernenden entmündigt."
Mutter Teresa sei es weniger um den leidenden Nächsten gegangen, als darum, sich Christus im Leiden des Anderen zu nähern, sagte Witten. "Es ging um ihre eigene Gotteserfahrung, um ihr eigenes Seelenheil." Mit dem Verzicht auf moderne medizinische Standards habe sie "Leiden billigend in Kauf genommen und Heilung zum Teil verhindert". Auch die Bekämpfung von Armutsursachen sei ihr nicht wichtig gewesen.
Was sie erreicht habe, lasse sich nur schwer bemessen. "Die Arbeit der Missionarinnen, die den 'Ärmsten der Armen' ihre Liebe schenken, lässt sich kaum quantifizieren", schreibt Witten in ihrer Arbeit. Mit ihrem Wirken habe Mutter Teresa den Menschen "die Frage gestellt, was eigentlich Nächstenliebe ist und welches Konzept sich dafür eignet". Ihre Art, auf die Menschen zuzugehen, habe etwas Vorbildhaftes gehabt. "Dabei muss man sie aber kritisch sehen", sagte die Theologin.
Mutter Teresa wird am 4. September von Papst Franziskus heiliggesprochen. Die Friedensnobelpreisträgerin aus Skopje im heutigen Mazedonien war 1997 im Alter von 87 Jahren gestorben. In der Öffentlichkeit genoss die Gründerin der "Missionarinnen der Nächstenliebe" hohe Wertschätzung für ihre Arbeit mit den Armen in Indien. Die Ordensfrau hatte 1952 ein Hospiz für kranke und sterbende Menschen in Kalkutta eröffnet. Wegen mangelnder finanzieller Transparenz und schlechter Hygieneverhältnisse in ihren Einrichtungen stand sie aber auch in der Kritik.