Trotz der von Russland angekündigten kurzen Feuerpause sind auch am Donnerstag anhaltende Kämpfe aus der belagerten syrischen Stadt Aleppo gemeldet worden. Der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, beklagte eine weiter zunehmende Militarisierung des Konflikts. Unbestätigten Berichten zufolge kam es am Mittwochabend zu einem Giftgasangriff in Aleppo. In der Stadt sind Hunderttausende Menschen von jeder Hilfe abgeschnitten. Trinkwasser, Medikamente und Lebensmittel gehen aus.
"Die Schlacht um Aleppo beweist, dass weder dort noch anderswo in Syrien eine militärische Lösung möglich ist", sagte De Mistura in Genf. Er kritisierte, die UN seien von Russland nicht in die Entscheidung einbezogen worden, ab Donnerstag täglich von 10 bis 13 Uhr Ortszeit drei Stunden Feuerpause einzulegen. "Drei Stunden sind nicht genug", sagte De Mistura. Für effiziente Hilfslieferungen seien 48 Stunden pro Woche nötig.
Ähnlich äußerte sich die Präsidentin der Diakonie Katastrophenhilfe,Cornelia Füllkrug-Weitzel. "Eine tägliche Feuerpause von drei Stunden ist deutlich zu kurz, um die Menschen in Aleppo mit Lebensmitteln, Trinkwasser und Medikamenten zu versorgen", sagte sie. Zumal wenn danach die Reste des Versorgungssystems weiter zerbombt und Menschen verwundet und getötet würden. Notwendig sei eine Einstellung der Kampfhandlungen. Eine Waffenruhe müsse der Einstieg zu einem Friedensprozess sein.
Nach Medienberichten kam es offenbar zu einem Giftgaseinsatz in Aleppo. Ein Hubschrauber habe am Mittwochabend über einem von Rebellen kontrollierten Viertel Fassbomben abgeworfen, die möglicherweisee Chlorgas enthielten, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira am Donnerstag unter Berufung auf Augenzeugen. Eine Mutter und zwei Kinder seien gestorben. Viele Menschen seien verletzt worden. Eine unabhängige Bestätigung gab es zunächst nicht.
De Mistura sagte, wenn Giftgas eingesetzt worden sei, müsse das untersucht werden. Der Einsatz wäre ein Kriegsverbrechen. Seit Monaten wird es immer wieder über den Einsatz verbotener Chemiewaffen in Syrien berichtet.
Wegen der verzweifelten Lage von rund 250.000 eingeschlossenen Menschen im umkämpften Aleppo appellierten 15 der verbliebenen Ärzte eindringlich an US-Präsident Barack Obama, die Konfliktparteien zum Schutz von Zivilisten zu bewegen. Ohne eine ständige Lebensader nach Aleppo sei es nur eine Frage der Zeit, bis sich der Belagerungsring des Regimes wieder schließe, der Hunger um sich greife und die Vorräte der Krankenhäuser versiegten, betonten die Ärzte in einem offenen Brief, der unter anderem in der britischen Zeitung "Independent" veröffentlicht wurde.
Appell der letzten 15 Ärzte an Obama
"Wir brauchen keine Tränen, Sympathie oder gar Gebete, wir brauchen Ihr Handeln", schrieben die Mediziner an Obama. Sie werfen dem syrischen Regime und Russland vor, Kliniken zu bombardieren.
Auch die Nothilfeorganisation "Ärzte ohne Grenzen" zeichnete ein düsteres Bild. "Im Osten der Stadt gibt es nur noch 35 Ärzte für 250.000 Menschen", sagte Einsatzleiter Pablo Marco, in einem Interview mit "Spiegel Online". Die Hospitäler würden überrannt und hätten kaum noch Personal. "Dabei kommen ohnehin nur noch Menschen im äußersten Notfall in die Krankenhäuser", sagte Marco. "Alle anderen haben zu große Angst wegen der ständigen Luftangriffe auf die Hospitäler."
Aus Sicht von Caritas International wäre ein sicherer Zugang für humanitäre Helfer in den Osten Aleppos überlebenswichtig für die Menschen dort. "Um effektiv helfen zu können, muss zumindest tageweise der Zugang zu den Eingeschlossenen möglich sein", sagte der für zuständige Referatsleiter Christoph Klitsch-Ott.
Im Syrien-Krieg kämpft das Assad-Regime mit russischer Unterstützung gegen Rebellengruppen und Terrormilizen wie den "Islamischen Staat" (IS). Nach Schätzungen von UN-Mitarbeitern kamen seit 2011 mindestens 300.000 Menschen ums Leben. Millionen Männer, Frauen und Kinder sind innerhalb und außerhalb Syriens auf der Flucht.