Papst Franziskus betet in Auschwitz für Holocaust-Opfer

Papst Franziskus betet in Auschwitz für Holocaust-Opfer
Vor allem seit dem Holocaust wurden Zweifel an der Existenz Gottes laut. Bei seinem Besuch in Auschwitz blieb Papst Franziskus am Ort des Grauens still. Er setzte mit seinem Schweigen dafür ein umso deutlicheres Zeichen gegen Hass, Gewalt und Terror.
29.07.2016
epd
Von Bettina Gabbe (epd)

Oswiecim, Rom (epd). Papst Franziskus hat am Freitag das frühere Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau besucht. Als dritter Papst betete er dort für die Opfer des Holocaust. Im Unterschied zu seinen Vorgängern, dem Polen Johannes Paul II. und dem aus Deutschland stammenden Benedikt XVI., hielt er dort jedoch keine Rede. Das katholische Kirchenoberhaupt schritt zu Fuß durch das Eingangstor mit dem zynischen Motto "Arbeit macht frei". An der sogenannten Todesmauer sprach er ein stilles Gebet. Eine Viertelstunde lang verharrte er dort regungslos allein auf einem Stuhl sitzend in nachdenklichem Gebet.

Im Gedenken an die Opfer, die an der Mauer bis zur Errichtung der Krematorien und Gaskammern in Birkenau 1943 erschossen wurden, küsste der Papst einen Pfeiler der Hinrichtungsstätte. Die Mauer war von den Nazis selbst abgerissen worden, wurde nach dem Krieg zum Gedenken jedoch wieder errichtet.

"Herr, vergib so viel Grausamkeit!"

Bei dem weitgehend schweigend absolvierten Besuch wurde Franziskus von der polnischen Ministerpräsidentin Beata Szydlo begrüßt. Danach traf er mit mehreren Holocaust-Überlebenden zusammen. Er nahm die Hand jedes einzelnen in seine Hände und küsste die Frauen und Männer auf die Wangen. Aufmerksam hörte er dabei den Worten zu, die einige von ihnen an ihn richteten, legte ihnen eine Hand auf den Arm und senkte den Kopf. Ein Überlebender gab Franziskus eine große weiße Kerze. Vorsichtig trug der Papst sie zur Todesmauer und entzündete sie.

In der Zelle von Pater Maximilian Kolbe im Keller des Lagergefängnisses in Block 11 verharrte Franziskus mehrere Minuten allein in schweigendem Gebet. Sichtlich bewegt saß er im Halbdunkel des winzigen Raums mit einem vergitterten kleinen Fenster. Der Franziskaner Kolbe hatte im Juli 1941 die Lagerleitung gebeten, ihn anstelle eines zum Tod verurteilten Familienvaters hinzurichten. Zwei Wochen später wurde Kolbe mit einer Giftspritze getötet. Die katholische Kirche verehrt Kolbe heute als einen der wichtigsten Märtyrer des 20. Jahrhunderts.

Anschließend besuchte Franziskus die benachbarte Zelle, in der die zum Katholizismus konvertierte Jüdin Edith Stein gefangen gehalten wurde. Die Philosophin wurde im August 1942 in den Gaskammern von Auschwitz ermordet. Vor dem Verlassen des Lagergefängnisses schrieb Franziskus in das Erinnerungsbuch der Gedenkstätte: "Herr, (hab) Erbarmen mit Deinem Volk! Herr, vergib so viel Grausamkeit!"

Stilles Gebet

Allein ging der Papst beim Verlassen des Geländes durch das Tor mit dem Schriftzug "Arbeit macht frei". Dabei ging er über den Schatten hinweg, den die Worte in der Sonne auf die Straße warfen.

Im Anschluss besuchte Franziskus das benachbarte Vernichtungslager Birkenau. Dort wurde er von mehreren Hundert Menschen erwartet, darunter 25 Polen, die für ihren Einsatz zur Rettung von Juden vor der Ermordung durch die Nationalsozialisten in Israel mit dem Titel "Gerechte unter den Völkern" ausgezeichnet wurden. Während ein Rabbiner auf Hebräisch den Psalm 130 - einen der Bußpsalmen - sang, verharrte Franziskus im stillen Gebet vor den Gedenktafeln für die Opfer der Judenvernichtung.

"Bergoglio denkt, dass seine Worte am Ort des Massakers zu geringfügig wären, um seine Empfindungen auszudrücken", schrieb der Rabbiner Abraham Skorka in der Vatikanzeitschrift "Osservatore Romano" anlässlich des Besuchs. In Auschwitz habe der Mensch sozusagen die Stimme Gottes durch ungeheuerliche und nie dagewesene Taten zum Schweigen gebracht, betonte der seit Jahrzehnten mit dem ehemaligen Erzbischof von Buenos Aires befreundete argentinische Rabbiner, der gemeinsam mit dem Papst nach Auschwitz gereist war. Die nötigen Worte habe Franziskus bereits bei seinem Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem gesagt.

"Höchste Wachsamkeit" nötig

Bei seinem Besuch in der römischen Hauptsynagoge im vergangenen Januar hatte Papst Franziskus zuletzt erklärt, auch heute sei "höchste Wachsamkeit" nötig, um Angriffen auf die menschliche Würde und den Frieden vorzubeugen. "Sechs Millionen Menschen wurden allein, weil sie dem jüdischen Volk angehörten, Opfer der unmenschlichsten Barbarei, begangen im Namen einer Ideologie, die den Menschen an die Stelle Gottes setzen wollte", sagte er in der Synagoge.

Das unweit von Krakau gelegene Lager Auschwitz wurde am 27. Januar 1945 von sowjetischen Truppen befreit. Von 1940 bis 1945 sind Schätzungen zufolge 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen in den Gaskammern ermordet oder erschossen worden. Etwa 90 Prozent der in Auschwitz getöteten Menschen waren Juden. Dazu kamen Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene sowie nichtjüdische Polen und Häftlinge anderer Nationalitäten.