Auch ohne ein Massensterben steht die Dürre in Äthiopien nach Ansicht des Welthungerhilfe-Vorstandsvorsitzenden Till Wahnbaeck für eine neue Dramatik. Das Problem sei nicht nur die Dürre im vergangenen und im laufenden Jahr, die zu massiven Ernteausfällen führte, sagte Wahnbaeck dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Das Problem ist, dass seit Jahren eine Mangelernte der anderen folgt, eine Dürreperiode der anderen: Es gibt keine Erholung mehr zwischen einzelnen Krisen", schilderte er seine Eindrücke von einem Besuch der äthiopischen Region Afar.
"Schlimmste Situation, die er je erlebt habe"
Ein 60-jähriger Clan-Ältester habe ihm erklärt, dies sei die schlimmste Situation, die er je erlebt habe, berichtete Wahnbaeck: "Und ein Nomade sagte mir, die große Krise von 1984 sei weniger schlimm gewesen, denn danach habe es eine Erholung gegeben." Der Hungersnot damals fielen schätzungsweise eine Million Menschen zum Opfer. Wahnbaeck sagte, inzwischen setze der Klimawandel der Region Jahr für Jahr ohne Entspannung zu, und das schon seit zehn Jahren.
Trotz der größten Dürre des vergangenen Jahrzehnts handele es sich um eine vergessene Krise, "weil sie weit weg von uns stattfindet und uns nicht so direkt bedroht wie die Flüchtlingskrise". Außerdem habe Äthiopien es durch gute Vorsorge geschafft, das Allerschlimmste zu vermeiden. "Die Bilder von massenweise verhungernden Kindern bleiben diesmal zum Glück aus", sagte er. Dennoch gebe es auch Meldungen von Hungertoten. Hirten im Norden von Afar hätten ihm gesagt: "Ja, wir wissen von Kindern, die verhungert sind. Sie sind hinter diesem Hügel dort begraben." Eine Partnerorganisationen spreche gar von Hunderten Opfern in den vergangenen Monaten.
Der jetzt einsetzende Regen komme zu spät. Mehr als eine halbe Million Tiere seien bereits verendet, und ohne Tiere breche den Hirten die Lebensgrundlage weg. "Und trotzdem ist vieles besser als zu Zeiten der großen Hungersnöte in Äthiopien", sagte Wahnbaeck. Die Regierung habe mit großangelegten Ernährungsprogrammen gut vorgesorgt und das Schlimmste verhindert. Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe hätten dazu beigetragen, dass Wasserzisternen gebaut wurden, die das knappe Wasser jetzt speichern.
Doch der Klimawandel überfordere das Land, betonte Wahnbaeck. "Die Pipeline für Nahrung und andere Hilfe darf in den nächsten Monaten nicht unterbrochen werden", forderte der Experte: "Jetzt müssen wir in den Wiederaufbau der Herden und die Widerstandskraft der Menschen investieren. Wenn wir es jetzt nicht tun, hört der Hunger nicht auf."