Herr Rekowski, Sie waren zwei Tage lang mit weiteren Kirchenvertretern in Griechenland. Wie ist Ihr Eindruck: Wie ist die Lage in Idomeni, wie geht es den Menschen? Was haben Sie erlebt, was gefühlt?
Einen Monat nach Schließung der Grenze hoffen die Flüchtlinge noch immer darauf, dass die Balkanroute wieder geöffnet wird. Wie überbrücken die Wartenden ihre Zeit? Was denken Sie wird passieren, wenn sich ihre Hoffnung nicht erfüllt?
Rekowski: Die Flüchtlinge erhalten nicht wirklich Informationen über die nächsten Schritte oder auch Beratung. Die Grenze ist seit Wochen dicht und wird dies bleiben. Trotzdem kommt immer wieder das Gerücht auf, dass eine Öffnung erfolgen würde. Nur wenige hundert Menschen haben sich umsiedeln lassen. Das Stellen der Asylanträge, dafür ist der Kontakt per Skype erforderlich, gelingt schon rein technisch nicht. Menschen warten, ohne zu wissen worauf. Angesichts dieser Situation wirken die meisten Menschen trotz der erkennbaren Perspektivlosigkeit sehr gefasst. In einer verstärkten, auch internationalen Gemeinschaftsaktion müssen die unhaltbaren Zustände beenden werden.
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Wie reagieren die Menschen auf eine Abschiebung in die Türkei, auf die sich die Europäische Union mit der türkischen Regierung geeinigt hatte? Wovor haben sie Angst?
Rekowski: Die meisten Menschen in Idomeni sind anders als die Menschen auf den griechischen Inseln nicht von einer Abschiebung in die Türkei betroffen, da sie vor dem fraglichen Stichtag eingereist sind. Sie sind aber stark betroffen von absoluter Unsicherheit und Perspektivlosigkeit. Niemand kann sagen, wie es weitergeht. Überall sieht man im Camp Menschen, die warten, dass die Zeit vergeht, und zugleich erleben, dass fast nichts geschieht.
Sie haben kirchliche Vertreter getroffen, die Flüchtlingshilfe leisten. Was drückt die Helfer? Woran mangelt es?
Rekowski: Wer sich den Menschen in Idomeni aussetzt, ihnen bei der Essensausgabe oder beim Verteilen von Brennholz begegnet, in die Zelte und Behausungen blickt, schwangere Frauen und Säuglinge sieht, den packt der Jammer und der Zorn. Trotz der Kritik am behördlichen Versagen wird mit großer Entschlossenheit angepackt und wichtige kleine Hilfe mit großer Wirkung geleistet. Dass es in einem Land mit so großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten so viel Hilfsbereitschaft und so wenig Fremdenfeindlichkeit gibt, beeindruckt mich sehr. Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gibt es hier so gut wie gar nicht - anders als bei uns daheim.
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In Thessaloniki haben Sie die evangelische Gemeinde besucht. Was unternimmt die Gemeinde in Thessaloniki, um ihrerseits Hilfe zu leisten? Welche Unterstützung können sie aus Deutschland brauchen?
Rekowski: Die Arbeit der kleinen evangelischen Gemeinde mit landesweit 5.000 Mitgliedern beeindruckt mich sehr. Es wurde und wird humanitäre Nothilfe geleistet, es wird ganz praktisch für Internetzugänge gesorgt, und wir haben auch gesehen, dass einzelnen Familien bereits Unterkünfte außerhalb von Idomeni vermittelt wurden. Auch Familienzusammenführung in Einzelfällen wäre möglich, erfolgt aber nicht. Die finanziellen Möglichkeiten reichen schlicht nicht aus, um den Hilfebedarf zu decken. Hier ist auch die Solidarität und finanzielle Hilfe der europäischen Kirchen gefragt.
Zeigt sich aus Ihrer Sicht am Beispiel Idomeni eine gescheiterte Flüchtlingspolitik? Sehen Sie eine Lösung?
Rekowski: In Idomeni, übrigens einem Dorf mit knapp 100 Einwohnern, zeigt sich, dass isolierte nationale Insellösungen in Form von Grenzschließungen keine Lösung des Weltproblems Flucht sind. Nötig sind kleine Schritte und eine große Lösung: Die fehlenden humanitären Standards in Idomeni müssen rasch hergestellt werden. Die Situation im Camp schreit und stinkt zum Himmel. Familien, Schwangere, unbegleitete Jugendliche und alleinreisende Frauen müssen sobald wie möglich in andere Unterkünfte gebracht werden, den Asylsuchenden muss der Zugang zu einem entsprechenden Verfahren ermöglicht werden, und das Lager muss schließlich aufgelöst werden. Es bedarf aber nach wie vor einer konzertierten internationalen Gemeinschaftsaktion, bei der insbesondere die wirtschaftlich leistungsfähigen Staaten die Unterbringung der Flüchtlinge und eine humanitäre Versorgung sicherstellen. Wir brauchen so etwas wie einen Marshallplan für Flüchtlinge.
Was wollen Sie gemeinsam mit den anderen Kirchenvertretern als nächstes unternehmen? Was werden Sie aufgrund der dort gemachten Erfahrungen persönlich anpacken?
Rekowski: Natürlich müssen wir die Eindrücke noch sacken lassen, sortieren und auswerten. Ich werde aber nach den in Idomeni gemachten Erfahrungen ganz sicher weiter konsequent und beharrlich dafür eintreten, dass die in Deutschland deutlich zurückgehenden Flüchtlingszahlen nicht dazu führen dürfen, dass wir das Thema für erledigt halten und von der Tagesordnung nehmen. Und ich werde mich sehr dafür einsetzen, dass wir unsere griechischen Mitchristen tatkräftig in ihrer engagierten Arbeit unterstützen.