Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gerät mit ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik innerhalb der Regierungskoalition zunehmend unter Druck. CSU-Chef Horst Seehofer drohte mit einer Verfassungsklage, falls die Bundesregierung nicht wieder "rechtlich geordnete Verhältnisse" an den Grenzen herstelle. SPD-Chef Sigmar Gabriel verlangte ein Ende der "chaotischen Zuwanderung". Zugleich sprach sich der Vizekanzler wegen des Flüchtlingszuzugs für Milliarden-Investitionen für den sozialen Zusammenhalt aus.
1,1 Millionen Flüchtlingen im Jahr 2015
Angesichts von 1,1 Millionen Flüchtlingen, die im vergangenen Jahr nach Deutschland kamen, wächst der Druck auf die Kanzlerin, eine spürbare Verringerung des Zuzugs zu erreichen. Wenn die Maßnahmen im Frühjahr nicht wirkten, "bewegen wir uns auf Zahlen zu, die schwierig werden", sagte Vizekanzler Gabriel den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstagsausgaben).
Er rate "uns allen, diese Grenze, die das Land aufzunehmen in der Lage ist, nicht auszutesten", sagte der SPD-Vorsitzende. Deutschland könne zwar deutlich mehr als die von Seehofer genannten 200.000 Flüchtlinge im Jahr aufnehmen. Das Kontingent müsse aber deutlich unter den Zahlen des vergangenen Jahres liegen.
Seehofer droht mit Klage vor Bundesverfassungsgericht
"Wir müssen von einer chaotischen zu einer planbaren Zuwanderung kommen", forderte Gabriel. Deutschland müsse "feste Kontingente" für die Aufnahme von Flüchtlingen einführen. Zugleich seien bessere Grenzkontrollen nötig. Zur Gewährleistung des sozialen Zusammenhalts schlug der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister massive Investitionen für Schulen, Kindergärten und den sozialen Wohnungsbau vor. "Wir brauchen ein richtig großes Paket für gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Größenordnung von fünf Milliarden Euro pro Jahr", sagte Gabriel.
Der bayerische Ministerpräsident Seehofer stellte erneut eine Verfassungsklage gegen die Bundesregierung in Aussicht, falls diese an den Grenzen nicht wieder "rechtlich geordnete Verhältnisse" herstelle. "Wenn sie das nicht tut, wird der Staatsregierung gar nichts anderes übrigbleiben, als vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen", sagte der CSU-Chef dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".
Demokratie in ihren Grundfesten erschüttert?
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte der Zeitung "Bild am Sonntag": "Wir wollen schnellstens eine Lösung. Europa ist dazu gemeinsam nicht fähig. Wir haben immensen Zeitdruck. Die Begrenzung muss jetzt erfolgen."
Auch in Merkels eigener Partei wird die Kritik am Kurs der Kanzlerin schärfer. "Wir sehen, dass der jetzige Kurs uns ins Unglück stürzen kann", sagte die CDU-Abgeordnete Erika Steinbach der "Bild am Sonntag". Wenn Merkel jetzt nicht umkehre, "dann trägt sie dazu bei, die Demokratie in ihren Grundfesten zu erschüttern", sagte Steinbach. Ihr Kollege Klaus-Peter Willsch forderte: "Wir müssen die Einwanderungspolitik ändern. Es würden sich viele freuen, wenn das mit Angela Merkel möglich ist."
Unterstützung erhielt Merkel von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU). "Ich unterstütze aus voller Überzeugung das, was die Kanzlerin sagt: Wir müssen das Problem an den Außengrenzen lösen", sagte Schäuble der "Süddeutschen Zeitung" (Samstagsausgabe). "Nicht jeder, der will, kann nach Europa kommen", bekräftigte der Finanzminister.
"Schließung der Grenzen hätte schwerwiegende Folgen: humanitäre, europapolitische und wirtschaftliche"
Die Verteidigungsministerin sagte der "Bild"-Zeitung (Montagsausgabe), Merkels Kurs sei "auf Dauer der einzig tragfähige Weg". Zugleich mahnte sie mehr Tempo bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise an. "Wir müssen schneller werden", sagte sie. Das gelte unter anderem für die Sicherung der EU-Außengrenzen und für die Asylverfahren.
Auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) forderte europäische Lösungen und warnte vor einer Schließung der Grenzen. "Eine Schließung der Grenzen hätte schwerwiegende Folgen: humanitäre, europapolitische und wirtschaftliche", sagte Kauder der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstagsausgabe). Klar sei aber, dass die Zahl der Flüchtlinge sich spürbar reduzieren müsse.