In der evangelischen Kirchengemeinde in Ober-Ramstadt bei Darmstadt wird schon seit Wochen über die Gottesdienste an Heiligabend diskutiert. Grund ist die vorübergehende Schließung der Kirche wegen dringend notwendiger Reparaturarbeiten und der Umzug in das Gemeindehaus. Dort gibt es mit 220 Stühlen aber nur halb so viele Plätze wie in dem fast 300 Jahre alten Gotteshaus. Weil das viel zu wenige sind, hat der Kirchenvorstand entschieden, den Einlass für die vier Gottesdienste an Heiligabend auf Inhaber vorab verteilter Platzkarten zu beschränken.
Das soll findige Konfirmanden zu der Idee verleitet haben, mit ihrem Kontingent von vier Karten pro Familie einen Schwarzmarkt zu eröffnen. "Das gibt Krieg", habe sogar ein Gemeindemitglied gedroht, berichtet Pfarrerin Vera Langner und nimmt den ganzen Trubel gelassen. "Die ärmliche Situation ist ja auch eine Chance. Wenn wir Krieg führen um die Sitzplatzkarten im Gottesdienst, dann gibt das doch Anlass darüber nachzudenken, was wir da eigentlich feiern."
Viele Menschen dächten bei Weihnachten an Schnee, Kirche und Glocken. "Das fällt aber dieses Jahr alles weg", sagt Langner. "So kommen wir viel näher an die eigentliche Botschaft ran." Die Gemeinde mache schon seit geraumer Zeit auf die Situation aufmerksam und sorge so auch dafür, dass die Menschen sehr früh darüber nachdenken würden, wie sie Weihnachten feiern wollen.
Viele hätten bereits gesagt, dass sie auf Darmstädter Gemeinden ausweichen wollen. Und auch der katholische Ortspfarrer nutze die Gelegenheit, für seinen Gottesdienst zu werben. "Das nehmen wir gerne an", sagt Langner.
Es gebe auch durchaus positive Rückmeldungen berichtet Langner. Weil bereits in der großen Kirche in den Vorjahren immer mal wieder Menschen nicht mehr hereinkamen, sei der sichere Sitzplatz mit einer Platzkarte gerade für ältere Menschen eine Erleichterung. So ungewöhnlich sei die Regelung auch gar nicht. Sie werde in der Nachbargemeinde Roßdorf aus Brandschutzgründen schon seit ein paar Jahren praktiziert.
Im Übrigen kann Langner beruhigen. Noch seien Karten übrig, die sich treue Kirchgänger nach dem Gottesdienst am 4. Advent abholen könnten. Für die weniger Treuen will die Pfarrerin in der Weihnachtswoche noch einmal 20 Karten im Gemeindebüro hinterlegen. Und für diejenigen, die sie tatsächlich am 24. Dezember abweisen muss, hat Langner neben einem symbolischen Geschenk noch eine theologische Botschaft: "Enttäuschungen gehören auch an Weihnachten dazu. Das Leben ist nicht perfekt."