Es ist ein wenig eng im verwinkelten Erlanger Teehaus, einem gemütlichen Café in der mittelfränkischen Großstadt. In einem der hinteren Zimmer quetschen sich ein paar Studenten um drei zusammengestellte Tische. Einer von ihnen gibt eine Tüte mit Datteln herum, die seine Eltern von der Pilgerfahrt aus Saudi-Arabien mitgebracht haben. Ein anderer erzählt währenddessen, warum Christen an Allerheiligen die Gräber ihrer Verstorbenen aufsuchen.
Zwischen den Tee- und Kaffeetassen liegen eine Bibel auf Deutsch und Hebräisch, ein Koran und Bücher wie "Streit um Abraham: Was Juden, Christen und Muslime trennt – und was sie eint". Tatsächlich geht es den Anwesenden, die sich einmal wöchentlich als "Café Abraham" treffen, genau darum: über theologische Schriften diskutieren, Unterschiede und Gemeinsamkeiten ihrer Religionen aufzeigen und einfach miteinander Kaffee trinken.
"Wir haben uns gedacht: Warum sind Pegida und Co. dort am stärksten, wo am wenigsten Muslime sind?", fragt Fabian Schmidmeier, der das Café gemeinsam mit El Hadi Khelladi gegründet hat. Schmidmeier studiert in Erlangen den Master Nahoststudien mit dem Schwerpunkt Islam und Recht im vierten Semester. Khelladi ist Doktorand und Dialogbeauftragter beim Rat Muslimischer Studierender und Akademiker (RAMSA) und fängt bald an, als Gefängnis-Imam in Hessen zu arbeiten.
Das Café Abraham hat seinen Ursprung im Internet. Khelladi hatte bereits 2007 die Idee eines Dialognetzwerkes namens "Muslimisch Jüdisch Christliches Freundschafts Forum", das er zunächst auf StudiVZ und später Facebook aufbaute. Das Projekt auch außerhalb der sozialen Netzwerke weiterzuführen hat nicht funktioniert. "Die Hoffnung, lokale Ableger an Uni-Standorten zu etablieren, hat sich leider nicht verwirklicht", bedauert Khelladi.
Jahre später sei das Café dann als eigenständige Initiative aus einem Dialogkreis der Muslimischen Studierendengemeinschaft (MSG) in Erlangen hervorgegangen. Gemeinsam gründeten Schmidmeier, Khelladi und ihrem Studienkollegen Benjamin Moscovici im September 2014 die Initiative. "Die Verbrechen des Islamischen Staats, PEGIDA und die Anschläge auf Charlie Hebdo haben das Projekt dann befeuert", erklärt Schmidmeier. "Wir wollten ein klares, interreligiöses Zeichen gegen Hass, Extremismus und Gewalt setzen." Die Idee war es, an die europäische Kaffeehaustradition anzuknüpfen und sich in einem lockeren Rahmen über religiöse, gesellschaftliche und politische Ansichten auszutauschen. "Leute, die sonst vielleicht nie zusammengekommen wären, sollten so zusammenkommen können", sagt Khelladi.
Auch die jüngsten Anschläge in Paris haben die Mitglieder der Gruppe erschüttert. Spontan haben sie sich zu Mahnwachen in die Stadt begeben, um Solidarität zu zeigen und dass sie sich von solchen Ereignissen nicht verunsichern lassen. Sie stellten Kerzen auf, hielten die französische, die deutsche und die Flagge der Europäischen Union hoch. Auf einem Banner stand "Juden, Christen, Muslime gemeinsam gegen Terror und Hass". Das habe ihnen viel Zuspruch eingebracht, manche Passanten stellten sich einfach eine Weile dazu. Doch von anderen seien sie auch angepöbelt worden, erzählt Schmidmeier. "Gerade jetzt brauchen wir so viel interreligiösen Dialog wie nie zuvor", sagt die 25-jährige Katharina Jahn, die wie Schmidmeier den Master Nahoststudien studiert und erst neu zu der Gruppe gestoßen ist.
"Natürlich diskutieren wir hier auf einem gewissen intellektuellen Level und erreichen nicht die breite Masse", sagt Schmidmeier. "Aber die Ergebnisse unserer Diskussionsrunden können wir wiederum nach außen tragen." Schmidmeier hält beispielsweise Vorträge bei der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung über Islam und Extremismus. "Das Publikum sind eher ältere, konservative Bürger", sagt er. "Aber gerade die Konservativen sind oft bibelfest und erkennen schnell die theologischen Gemeinsamkeiten." Zu Beginn seiner Vorträge herrsche meist Unsicherheit, aber auch großes Interesse. "Die meisten sind nicht böswillig voreingenommen." Aus Verunsicherung werde Interesse und aus Interesse Akzeptanz, erklärt er. "Je eher ich merke, dass mich und mein Gegenüber mehr Gemeinsamkeiten verbinden als Gegensätze trennen, desto weniger kann ich eigentlich gegen ihn sein", sagt Schmidmeier.
Mitbegründer Khelladi bemüht sich zudem um nationale und internationale Vernetzung. Die Initiative steht in engem Kontakt mit Organisationen wie Rat Muslimischer Studierender und Akademiker, der European Union of Independent Students and Academics (EUISA) oder dem Radicalisation Awareness Network (RAN) und erreicht so Gleichgesinnte in Deutschland und Europa.
Religionen nicht gegeneinander ausspielen
Als Nebeneffekt schreibt sich das Projekt Deradikalisierungsarbeit auf die Fahne. Das Café Abraham sei ja auch ein Statement, meint Khelladi: "Leute, kommt mal wieder auf den Teppich!" Der Dialog funktioniere dabei präventiv. "Natürlich kann der reine Dialog überzeugte Rechtsradikale und indoktrinierte Islamisten nicht einfach so deradikalisieren", sagt Khelladi. "Dafür braucht es andere Herangehensweisen." Aber bei unschlüssigen Menschen helfe es schon, sein Gegenüber besser kennen zu lernen.
Gerade nach Paris sei das Wichtigste weiterhin Aufklärung, betont Schmidmeier. "Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen", sagt er. "Gläubige aller Religionen und Nichtgläubige aller Länder müssen sich gemeinsam gegen den Terror stellen."
Bei den Treffen beschäftigen sich die Teilnehmer zwar hauptsächlich mit den drei abrahamitischen Religionen, Angehörige anderer Religionen oder Konfessionslose sind aber auch jederzeit eingeladen. "Wir hatten schon viele Atheisten hier", berichtet Schmidmeier. "Es geht nicht nur darum, theologische Texte zu diskutieren, sondern darum, einfach mal ins Gespräch zu kommen." Im Café Abraham gibt es keine Tabus. "Wir sind hier sehr offen miteinander und können auch unangenehme Themen problemlos ansprechen", sagt die 21-jährige Studentin Chaymae Khelladi, die von Anfang an bei der Initiative dabei war.
Freundschaft und Toleranz trotz anderer Ansichten
Nicht bei allen Diskussionen kommen die Teilnehmer auf einen Nenner. Beim Thema Kopftuch zum Beispiel. "Es ist ja nicht unser Ziel, eine Friede-Freude-Eierkuchen-Plattform zu sein, sondern auch Unterschiede kennen zu lernen", sagt Schmidmeier. Wichtig sei, diese Unterschiede als gleichberechtigt anzuerkennen und nebeneinander bestehen zu lassen. "Die Trinität des Christentums ist zum Beispiel theologisch unvereinbar mit dem Monotheismus des Islam, aber das ist kein Grund, sich an die Gurgel zu gehen." Respekt, Freundschaft und Toleranz könnten auch trotz unterschiedlicher Ansichten bestehen.
Bei einem lockeren Teetreffen soll es nicht bleiben. Schmidmeier und Khelladi haben größere Pläne. "Wir wollen das Café Abraham in den nächsten zwei Jahren zu einer Beratungsstelle für Deradikalisierung inklusive eigenem Büro ausbauen", erzählt Schmidmeier. Trotzdem bleibt im Kern eine simple Botschaft, meint Khelladi: "Wenn man zusammen Kaffee trinkt und fundiert über ein Thema redet, kommt schnell der Gedanke auf: Hey, mein Gegenüber ist ja eigentlich ganz in Ordnung – egal welche Religion er hat."