Wiesbaden, Berlin (epd)Der Anteil armer und sozial ausgeschlossener Menschen in Deutschland ist im vergangenen Jahr weiter gestiegen. Wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag in Wiesbaden mitteilte, lebten 2014 rund 16,5 Millionen Menschen, also etwa jeder Fünfte, an der Armutsgrenze. Sozialverbände fordern die Bundesregierung auf, ein Konzept zur Armutsbekämpfung zu entwickeln.
Laut Statistikbehörde lebten in Deutschland im vergangenen Jahr 300.000 Menschen mehr in Armut als im Vorjahr. Dies entspricht einer Steigerung von 20,3 auf 20,6 Prozent der Bevölkerung. In beiden Jahren lagen die Anteile aber deutlich unter dem europäischen Durchschnitt: Demnach war im vergangenen Jahr sogar fast jeder Vierte in der Europäischen Union arm oder armutsgefährdet.
Lebensbedingungen stark eingeschränkt
Als arm und sozial ausgegrenzt gelten Personen, wenn für sie mindestens eine der folgenden drei Lebenssituationen zutrifft: Ihr Einkommen liegt unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze, ihr Haushalt ist von erheblicher materieller Entbehrung betroffen oder sie leben in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung. Laut einer EU-Definition sind Menschen armutsgefährdet, wenn sie weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung haben. Im vergangenen Jahr lag der Schwellenwert dafür bei alleinstehenden Personen in Deutschland bei 987 Euro netto im Monat, bei einer vierköpfigen Familie mit Kindern unter 14 Jahren lag er bei 2.072 Euro.
Eine erhebliche materielle Entbehrung liegt der Statistik zufolge vor, wenn die Lebensbedingungen der Menschen aufgrund fehlender finanzieller Mittel stark eingeschränkt sind. Demnach konnten 2014 etwa fünf Prozent der Menschen in Deutschland beispielsweise Rechnungen nicht bezahlen oder für eine Woche in Urlaub fahren.
Warnung vor Verteilungskonflikten
Angesichts der "besorgniserregenden" Zahlen forderte der Sozialverband VdK Deutschland die Bundesregierung dazu auf, ein Gesamtkonzept zur Armutsbekämpfung zu entwickeln. "Armutsvermeidung ist eine Querschnittsaufgabe, derer sich Steuerpolitik, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, Gesundheitspolitik und Bildungspolitik gleichermaßen annehmen müssen", mahnte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. So müsse unter anderem der Mindestlohn erhöht und der Kampf gegen die Bildungsarmut verstärkt werden.
Auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) forderte einen gemeinsamen Plan zur Armutsbekämpfung: "Es muss an institutionellen Strukturen gearbeitet werden, die arm machen und dafür verantwortlich sind, dass sich Armut vererbt", sagte der Bundesvorsitzende des Sozialverbands, Wolfgang Stadler. Die Zugänge zum Bildungssystem und zum Arbeitsmarkt müssten chancengerecht gestaltet werden. Ein möglicher Ansatz dafür sei die Einführung einer integrierten Ganztagsschule.
Stadler warnte zudem vor möglichen Verteilungskonflikten angesichts der steigenden Zahl Asylsuchender in Deutschland: "Wir dürfen nicht zulassen, dass es zu einer Spaltung der Gesellschaft kommt." Soziale Teilhabe müsse allen Menschen zukommen.
Linke: Soziale Spaltung vertieft
Der Paritätische Wohlfahrtsverband sprach sich für einen steuerpolitischen Kurswechsel aus. Hauptgeschäftsverführer Ulrich Schneider sagte: "Wir brauchen wirksame politische Maßnahmen gegen Armut und Ausgrenzung und eine neue solidarische Steuerpolitik, um diese Maßnahmen zu finanzieren."
Laut der Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping, ist die Bundesregierung schuld an der Vielzahl armer Menschen in Deutschland: "CDU/CSU und SPD vertiefen mit ihrer Politik die soziale Spaltung im Land und sind für zunehmende Armut und Armutsgefährdung verantwortlich." Kipping forderte unter anderem die Einführung einer Mindestrente sowie eine Grundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen.