In einer Notunterkunft in Frankfurt engagiert sich ehrenamtlich eine Iranerin, erzählt Flüchtlingsseelsorgerin Anke Leuthold. Eine Seele von Frau, die sich mütterlich um junge Flüchtlinge aus Afghanistan kümmert und sie versteht. Manchmal hört sie auf Farsi Dinge, die wehtun: "Da hat zum Beispiel einer der jungen Afghanen sofort seine Fluchtgeschichte erzählt", berichtet Anke Leuthold. "Noch im Gehen, als wir ihn zu seiner Liege brachten, erzählte er, wie sein Onkel umgebracht wurde. Das war so unvermittelt, dass es die Ehrenamtlerin richtig mitgenommen hat, sie fing fast an zu weinen." Kann das gutgehen? "Ich hab da gedacht, Mensch, wir müssen uns um die Aufarbeitung, um Supervision kümmern", sagt die Pfarrerin, die momentan in der Turnhalle im Stadtteil Kalbach hilft und sonst am Flughafen Flüchtlinge betreut.
Erst einmal brauchen die Ankommenden ein Bett mit warmer Decke, ein paar Schuhe für die wundgelaufenen Füße und vor allem die Gewissheit, dass sie hier sicher sind. Die meisten brauchen Ruhe, wollen schlafen, die schrecklichen Erlebnisse hinter sich lassen und nicht sofort reden wie der junge Afghane. Aber dann, nach einer Weile, meldet sich die Seele doch, "die Hoffnungen und die Schrecken, die mit der Flucht verbunden waren, die Angehörigen, die zu Hause geblieben sind der Verlust an Heimat, die Schulgefühle gegenüber denen, die nicht überlebt haben", zählt Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx auf. Sie engagiert sich in der kirchlich-diakonischen Flüchtlingsarbeit und in der Seelsorge.
Ein offenes Ohr für die Gottesfrage
Manche Flüchtlinge müssen allerdings erst ein bisschen Anlauf nehmen, können nicht auf Anhieb in Worte fassen, was sie bedrückt. "Jetzt gerade heute wieder hatte ich jemanden hier, der hinter mir her gerufen hat, dass er einen Arzt braucht", erzählt Anke Leuthold von ihrer Flughafen-Arbeit. "Und wenn ich mich dann zu dem setze, dann merke ich: Der braucht auch einen Arzt, aber eigentlich braucht er vielmehr jemanden, der mit ihm redet und der ihn ein bisschen tröstet."
Seelsorge, Sorge für die Seele eines oder mehrerer Menschen, das ist nicht dasselbe wie psychologische Hilfe. Seelsorge ist geistliche Begleitung, religiöse Kommunikation - auf Wunsch mit Gebet zu Gott und einem persönlichen Segen am Schluss. Gerade die Kirchen können sich mit Seelsorge in der Flüchtlingsarbeit einbringen, schließlich sind alle Pfarrerinnen und Pfarrer darin ausgebildet, und viele Ehrenamtliche auch, zum Beispiel über die Krankenhausseelsorge. Aber was ist mit Menschen, die jetzt spontan und unvorbereitet einspringen - wie die Iranerin in der Unterkunft in Frankfurt-Kalbach?
"Es ist gut und wünschenswert, eine Seelsorge-Ausbildung oder Fortbildung zu haben, in der man zuhören, nachfragen und sich selbst reflektieren lernt", sagt Cornelia Coenen-Marx. Nicht nur eigene Lebenserfahrung sei dafür wichtig, sondern auch "ein offenes Ohr für die Gottesfrage". Doch Heike Seidel-Hoffmann winkt ab. Sie ist als Pfarrerin mit Projektauftrag für Flüchtlingsarbeit und Ehrenamtskoordination ebenfalls in der Turnhalle in Frankfurt-Kalbach im Einsatz: "So furchtbar professionell können wir das jetzt nicht machen, weil es uns permanent überrollt", stellt sie fest. Seelsorge für Flüchtlinge könne in dieser Notsituation jeder leisten, "der Empathie mitbringt und bereit ist, sich auf andere Menschen einzulassen" und der "Nähe und Distanz für sich gut ausloten" könne. Ruhige Charaktere seien für diese Aufgabe besser geeignet als "Überaktivisten, die ganz unbedingt helfen wollen und dann manchmal selber sehr aufgeregt sind", gibt ihre Kollegin Anke Leuthold zu bedenken. Cornelia Coenen-Marx findet außerdem, Seelsorgende sollten das "Grundvertrauen" mitbringen, "dass unser Leben Sinn und ein gutes Ziel hat, dass Gott mit jedem Menschen etwas Gutes vorhat".
Sich selbst wahrnehmen – was geht noch und was nicht mehr? – und dann auch für sich selber sorgen, das gehört zur Professionalität in der Seelsorge dazu. Heike Seidel-Hoffmann geht es oft so: "Ich arbeite als Pfarrerin ja eigentlich permanent mit meiner Seele und spüre: Meine Seele brennt jetzt an der Stelle aus oder ich kann jetzt gar nichts mehr geben. Dann muss ich für mich sorgen, indem ich zum Beispiel mit anderen, die das auch möchten, ein Abendmahl feiere." Mit den Helferinnen und Helfer in Kalbach ist jetzt ein Stammtisch geplant, "damit sie einen Austausch haben". Auch Andachten, Meditationen und Gebete in den beteiligten Kirchengemeinden könnten Seelsorgenden ein "backing" geben, wie es Heike Seidel-Hoffmann nennt.
Raum und Zeit organisieren
Noch besser wäre darüberhinaus Supervision, also professionelle Begleitung und Beratung, bei der das Gehörte und Erlebte besprochen und reflektiert wird. "Supervision für die Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit fehlt noch und wird unbedingt gebraucht", sagt Cornelia Coenen-Marx. "Wenn es uns nicht gelingt, das zu organisieren, werden die Ehrenamtlichen diese Aufgabe auf Dauer nicht durchhalten können. Es gibt jetzt schon Menschen, die mir berichten, dass sie nicht mehr in den Schlaf finden wegen der Geschichten, die ihnen Flüchtlinge erzählt haben."
"Zwischendurch hat man schon so Durchhänger, dass man denkt, oh je, so kann ich nicht weitermachen", gibt auch Mathilde Hucker zu, Mitglied in katholischen Kirchengemeinderat im schwäbischen Unterelchingen, wo sich viele Einwohner ehrenamtlich um Flüchtlinge kümmern. "Wenn es ganz schlimm ist, haben wir die Möglichkeit der Supervision, da kommt extra eine Psychologin", berichtet Hucker. Bezahlt werden die Beratungsstunden von der katholischen Kirche. Eine einfache und effektive Organisationsform, die Vorbild für andere Orte mit Notunterkünften sein könnte.
Die Elchinger sind schon geübt, auch in Sachen Seelsorge: Jeden Mittwoch gibt es eine "Kaffeezeit am runden Tisch", erzählt Mathilde Hucker, da kämen die Gespräche auf Themen wie "Fluchtwege, was sie erlebt haben, was sie sich hier vorstellen". Es hilft Flüchtlingen und Helferteams, wenn die schrecklichen Erlebnisse nicht holterdipolter aus den Menschen herausbrechen, sondern Raum und Zeit bekommen - wie in der "Kaffeezeit". Raum und Zeit können Kirchengemeinden gut organisieren, und wenn Vier-Augen-Gespräche nötig sind, ergeben die sich aus der Gruppenstunde heraus oft ganz von selbst.
Erst einmal alle, die reden wollen, an einen Tisch bringen – diese Idee hatten auch evangelische Christen in Ostwestfalen: In Detmold hat der Flüchtlingsbeauftragte der lippischen Landeskirche, Dieter Bökemeier, zusammen mit anderen einen internationalen Bibelkreis aufgebaut. "Ein Teil der Flüchtlinge sind ja Christinnen und Christen, und wir haben eine Verantwortung, ihnen in unseren Gemeinden eine Heimat zu geben", ist Bökemeier überzeugt. Im Bibelkreis begegnen sich Christen von hier und von anderswo auf Augenhöhe. "Wir sprechen aus unseren eigenen Erfahrungen heraus über Bibeltexte", erklärt Bökemeier. "Wenn Menschen von Fluchterfahrungen erzählen oder von Verlassenheit, Freiheit oder Unfreiheit, das hat etwas sehr Persönliches und Dichtes, also etwas Seelsorgerliches".