Rund sieben Millionen funktionelle Analphabeten haben in Deutschland Schwierigkeiten, reguläre Arbeit zu finden, und sind potenzielle Hartz-IV-Empfänger. Weil viele Ausbildungsgänge allzu theorielastig seien, hätten viele Lernbehinderte gar keine reale Einstiegschancen in den Beruf, beklagt Manfred Lütz, Chefarzt und Psychiater am Kölner Alexianer-Krankenhaus: "Das Recht auf Arbeit ist keinesfalls auf nichtbehinderte Menschen beschränkt."
Auch um dem drohenden Betreuungsmangel im Senioren-, Behinderten- und Krankenhausbereich vorzubeugen, initiierte Lütz im letzten Jahr zusammen mit dem Pfarrer Franz Meurer die Entwicklung eines bundesweit einzigartigen Ausbildungsgangs in Köln. Der "Fachpraktiker Service in sozialen Einrichtungen" soll jungen, lernbehinderten Menschen eine echte Chance auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen.
Erfolgreiches Modell in Köln
"Im Fall einer Demenz würde ich lieber von einem empathischen Förderschüler als von einem kommunikationsgestörten Einserabiturienten betreut werden", erklärt Lütz. Die neuen Fachpraktiker sollen den Service in Behinderten-, Alten- und Krankeneinrichtungen durch mehr Ansprache und Zuwendung aufwerten. Dazu gehören laut Lütz beispielsweise Aktivitäten wie das gemeinsame Spazierengehen.
Im Vorfeld gab es erheblichen Widerstand von Interessensverbänden, die "billige Pflege" befürchteten. Lütz: "Es handelt sich aber ausdrücklich nicht um Pflege. Die tatsächlichen Pfleger werden entlastet." Lütz und Meurer können auf die Unterstützung der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) zählen, die sich mit ihrer Initiative "Niemanden ohne Berufsabschluss zurücklassen" für mehr Ausbildungschancen für Jugendliche mit niedrigem Bildungsabschluss einsetzt.
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Der duale Ausbildungsgang, dessen praktischer Teil siebzig Prozent ausmacht, bietet den Jugendlichen nebenbei die Möglichkeit, einen Hauptschulabschluss zu erlangen. Das Projekt erfuhr in Köln solchen Zuspruch, dass nun auch die Industrie- und Handelskammer Bonn das Modell übernommen hat.
Unter anderem beteiligen sich alle großen katholischen Träger in Köln und Bonn. Sie verpflichten sich, die jungen Menschen nach einer zweijährigen Ausbildung für ein Jahr sozialversicherungspflichtig einzustellen. Lütz glaubt, dass sie damit eine echte Perspektive auf eine dauerhafte Anstellung haben. "Es ist ein großer Erfolg, dass in Köln nach einem Jahr noch niemand abgebrochen hat. Ich hoffe sehr, dass diese Ausbildung überall in Deutschland Schule macht."