Dortmund, Köln (epd)Hier nennen sie viele Mama: Die Informatikerin Nahid Farshi kümmert sich um Flüchtlinge, die dort ankommen, wohin sie selbst vor 31 Jahren floh: Dortmund. Sie organisiert Umzüge, Deutschunterricht und hilft bei Behördengängen. Ehrenamtlich und "mindestens 14 Stunden am Tag". Ihren Job hat die 51-Jährige auf Eis gelegt, lebt vom Ersparten, "weil das hier gerade wichtiger ist". Drei Monate schafft sie das noch finanziell, sagt sie. "Dann muss ich andere Lösungen finden."
3,5 Millionen für Qualifizierungsprojekte
Vor allem für die Koordinierung der Freiwilligenarbeit müsste es hauptamtliche Stellen geben, findet Astrid Cramer, zusammen mit Nahid Farshi im Vorstand des Vereins "Projekt Ankommen". Die Physiotherapeutin verbringt jeden Abend Stunden am Computer und ordnet die "unzähligen Hilfsangebote". Rund um die Uhr wie Nahid Farshi hat natürlich fast niemand Zeit, "die meisten gehen ja arbeiten". Cramer versucht, die Hilfsbereitschaft so zu verteilen, dass so viel wie möglich bei den Flüchtlingen ankommt. Dabei geht sie an ihre persönliche Belastungsgrenze. "Ich muss gerade lernen, auch ein paar Stunden in der Woche nicht erreichbar zu sein."
Die Bundesregierung will Bürgern wie ihnen jetzt helfen: 3,5 Millionen Euro für Qualifizierungsprojekte stellt sie dafür bereit. "Wir müssen aufpassen, dass wir die vielen Freiwilligen nicht überfordern", erklärt die Flüchtlingsbeauftragte Aydan Özoguz (SPD). Das Geld geht an die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, die es an Projekte vor Ort vergeben.
Die sehen dringenden Bedarf. "Seit Anfang des Jahres werden wir hier quasi überrannt", sagt Erika Theißen vom Kölner Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen, das Mitglied im Paritätischen Verband ist. Überrannt von Flüchtlingen - und von Ehrenamtlichen. Kölns größte Flüchtlingsunterkunft liegt in unmittelbarer Nachbarschaft, das Zentrum bietet zusätzliche Deutschkurse, betreut immer mehr Menschen. "Ohne unsere Freiwilligen ginge das nicht", sagt Theißen. Aus ihrer Sicht ist das aber ein grundlegender Missstand. "Das ist an vielen Stellen keine Arbeit, die man einfach so ohne Ausbildung machen kann", sagt sie. "Es darf nicht sein, dass Ehrenamt Hauptamt ersetzen muss, weil es anders nicht geht."
10.000 Euro bekommt sie jetzt für die Qualifizierung ihrer Freiwilligen. Vor allem Grundwissen über Behörden und Hilfestrukturen will sie ihnen in Fortbildungen vermitteln. Zudem wird ein Mitarbeiter ein systematisches Freiwilligen-Management aufbauen, damit Hilfeeinsätze besser geplant werden können. "Zeitmanagement ist viel komplizierter, wenn man mit vielen Menschen arbeitet, die selbst nur unregelmäßig Zeit haben." Und die nicht gelernt haben, sich von den oft entsetzlichen Lebensgeschichten der Flüchtlingen abzugrenzen. Eine Supervision für die Freiwilligen hat Theißen deshalb bereits angeboten - mit einer ehrenamtlichen Therapeutin.
Management der Freiwilligen
Viele professionelle Organisationen stoßen gerade an ihre Grenzen, bestätigt Sergio Cortés Núñez, der die Qualifizierungsprojekte für die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege koordiniert. Vor allem das Management der Freiwilligen sei "herausfordernd", sagt der Migrationsreferent des Paritätischen Gesamtverbandes. Es gebe in Einrichtungen Kleiderkammern mit 1.000 Hosen aber keiner Unterwäsche oder 100 Angebote für Aktivitäten um 17 Uhr, aber niemanden, der um 10 Uhr im Rathaus übersetzen kann. "Es muss vor Ort noch sehr viel Vernetzungsarbeit geschehen."
Menschen, die zum ersten Mal mit Flüchtlingen zu tun haben, bräuchten zudem eine Orientierung darüber, welche Strukturen es vor Ort gibt. "Sie können keine Rechtsberatung machen, sollten aber wissen, wo es sie gibt." Und Ansprechpartner haben, bei denen sie sich selbst helfen lassen können, wenn sie sich überfordert fühlen. "Wir wollen Ehrenamt und Hauptamt besser verzahnen."
Nahid Farshi in Dortmund sammelt unterdessen auf einem Dortmunder Flohmarkt Adressen von Bürgern, die helfen wollen. Denn: Noch am Abend werden neue Flüchtlinge ankommen.