Kehrtwende in der deutschen Flüchtlingspolitik: Die Bundesregierung führt wegen des anhaltenden Zustroms an Asylsuchenden vorübergehend wieder Grenzkontrollen ein. Das teilte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Sonntagabend in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in Berlin mit. Den Schwerpunkt bilde zunächst die bayerisch-österreichische Grenze. Ziel sei, den derzeitigen Zustrom zu begrenzen und wieder zu geordneten Verfahren bei der Einreise zu kommen. Am Wochenende waren in Deutschland bis zu 40.000 neue Flüchtlinge erwartet worden. Mehrere Politiker aus der CSU und auch aus der CDU hatten in den vergangenen Tagen gefordert, die Einreise von Flüchtlingen wieder einzuschränken.
De Maizière sagte: "Wir brauchen einfach etwas mehr Zeit und ein gewisses Maß an Ordnung an unseren Grenzen." Dies sei auch aus Sicherheitsgründen dringend erforderlich. Der jetzige Schritt sei innerhalb der Koalition einvernehmlich beschlossen worden. Er werde nicht alle Probleme lösen können, räumte der Minister ein. Auch sei mit Einschränkungen zu rechnen, etwa im Zugverkehr.
Der CDU-Politiker forderte eine Rückkehr der EU-Mitgliedsstaaten zu den Regelungen des Dublin-Abkommens. Deutschland sei für die allermeisten ankommenden Flüchtlinge gar nicht zuständig. Auch die Asylsuchenden selbst müssten akzeptieren, dass sie sich das Land nicht einfach aussuchen könnten, das ihnen Schutz gewährt, sagte de Maizière. Bei der Pressekonferenz waren keine Nachfragen zugelassen.
Eine Sprecherin des österreichischen Bundeskanzleramtes wollte sich am Sonntag auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) zunächst nicht äußern. Dem Österreichischen Rundfunk (ORF) hatte sie zuvor aber gesagt, dass Deutschland die Grenzen für Flüchtlinge nicht völlig dicht machen werde: "Davon war nie die Rede."
Allein am Münchener Hauptbahnhof waren am Wochenende etwa 20.000 neue Flüchtlinge erwartet worden. Der von den Behörden befürchtete Kollaps blieb zwar zunächst aus, die Lage ist aber überaus angespannt. Seit Ende August wurden in der Stadt 63.000 Flüchtlinge gezählt und damit weit mehr als der Freistaat Bayern im Jahr 2014 insgesamt aufnahm. Die "Passauer Neue Presse" berichtete am Sonntag, Bayern habe vom Bund 21 Hundertschaften der Bundespolizei zur Unterstützung angefordert. Zuvor hatten die Behörden vor einem drohenden Kollaps gewarnt.
Angesichts der anhaltend hohen Flüchtlingszahlen in Deutschland war am Wochenende die Sorge vor einer Überforderung gewachsen. Das Land komme "an den Rand seiner Möglichkeiten", sagte Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD). Er forderte ebenso wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) mehr Hilfe anderer EU-Staaten. Steinmeier sprach sich für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in der EU nach Quoten aus. "Allein schafft das kein Land, auch Deutschland nicht", sagte er. Am Montag beraten die Innenminister der EU-Staaten über einen Verteilschlüssel für 160.000 Flüchtlinge.