Die Einwände richten sich auch gegen den nach derzeitigem Stand aussichtsreichsten Entwurf einer Abgeordnetengruppe um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD). Dieser Entwurf zielt auf ein Verbot der Sterbehilfevereine. Griese sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), sie "sehe das Gutachten gelassen. Wir werden unseren Entwurf weiterverfolgen."
Die Experten sehen in dem Griese-Brand-Entwurf einen möglichen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes. Es werde nicht klar, wie die geplante Unterscheidung zwischen einer verbotenen geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe und einer erlaubten Sterbehilfe aus selbstlosen Motiven im Einzelfall getroffen werden könne.
Unterscheidung zwischen "erlaubtem Einzelfall" und "strafbaren Wiederholungsabsicht" unmöglich?
Der Wissenschaftliche Dienst verweist auf Palliativmediziner in Hospizen sowie Ärzte auf Intensivstationen. Diese Ärzte "könnten regelmäßig aus einem ohnehin bestehenden Behandlungsverhältnis dazu übergehen, ihre Patienten auch hinsichtlich der Sterbehilfe zu beraten und Medikamente zu verschreiben". Sofern diese Ärzte "auf die Wünsche ihrer Patienten eingingen, wäre schnell die Schwelle erreicht, bei der auch das Leisten von Sterbehilfe zu einem wiederkehrenden Bestandteil ihrer Tätigkeit würde". Somit wäre es unmöglich, bei diesen Ärzten zwischen dem erlaubten Einzelfall und der strafbaren Wiederholungsabsicht zu unterscheiden. Daher sei "zweifelhaft", ob der Antrag von Brand und Griese "dem verfassungsrechtlich geforderten Bestimmtheitsgebot genügt", heißt es.
Kersten Griese sagte dazu, in der Begründung ihres Gesetzentwurfs werde sehr eng definiert, was unter geschäftsmäßiger Sterbehilfe zu verstehen sei. Diese sei mit der "Absicht" verbunden, den assistierten Suizid zu fördern, sei auf Wiederholung angelegt und Teil eines regelmäßigen Angebots der Sterbehilfevereine. Das alles treffe auf die Ärzte nicht zu. Bei der Prüfung auf Verfassungsmäßigkeit spiele die Begründung eines Gesetzes eine große Rolle. Dies werde vom Wissenschaftlichen Dienst offenbar unterschätzt, so Griese.
Auch Michael Brand sagte, er sei sicher, das Gesetz werde vor dem Verfassungsgericht bestehen. Die Formulierung des Entwurfs sei von Juristen aus dem Strafrecht, dem Medizin- und dem Verfassungsrecht begleitet worden. Man müsse sich vor einem Gang nach Karlsruhe nicht ängstigen.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags formuliert ähnliche Bedenken auch gegen den Vorschlag, nur die kommerzielle ("gewerbsmäßige") Suizidhilfe mit Gefängnis zu bestrafen. Zu diesem Entwurf einer Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) heißt es in dem Gutachten: Ärzte würden grundsätzlich gewerbsmäßig handeln, auch bei der Beratung von Patienten mit Sterbewünschen. Somit könne "sich bereits durch die allgemeine ärztliche Vergütung ein gewerbsmäßiges Handeln" ergeben, das der Gesetzentwurf aber verbieten wolle.
"Todkranken Menschen ein friedliches Entschlafen ermöglichen"
Verfassungsrechtliche Bedenken äußern die Bundestagsjuristen zudem gegen den Entwurf einer Gruppe um Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD). Sie wollen mit einer regulierten Zulassung ärztlicher Hilfe zur Selbsttötung Sterbehilfe-Verbote im ärztlichen Standesrecht außer Kraft setzen. Für solche Eingriffe in das den Bundesländern obliegende Standesrecht fehle dem Bundesgesetzgeber die Kompetenz, wird argumentiert.
Hintze sagte dem epd, er sei von der Verfassungsmäßigkeit des Gruppenantrages überzeugt. Ziel der angestrebten Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch sei es, todkranken Menschen ein friedliches Entschlafen zu ermöglichen. Die ärztliche Tätigkeit werde davon lediglich mittelbar berührt, vergleichbar der bundesrechtlich geregelten Patientenverfügung, ergänzte der CDU-Politiker.
Zur ersten Lesung im Juni lag dem Bundestag zudem ein Antrag des CDU-Politikers Patrick Sensburg vor, der ein weitgehendes Verbot der Hilfe zur Selbsttötung anstrebt. Sensburg sieht sich durch die Gutachten bestätigt.