Das Kernproblem sei "ein völliger Bruch mit seiner geistigen, spirituellen und ästhetischen Tradition", sagte der Autor und Orientalist dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstagsausgabe). Der islamische Fundamentalismus negiere eine 1.400-jährige Deutungsgeschichte. "Diese Ausrottung der eigenen Tradition ist das eigentlich Erschütternde, wenn man heute islamische Länder bereist."
Kermani nannte es ein Missverständnis zu glauben, der Islam müsse erst einmal in der Moderne ankommen. "Der Fundamentalismus wendet sich gerade gegen die Tradition und will sie abschaffen, indem er an einen behaupteten Uranfang zurückkehrt und sich vermeintlich authentisch auf den Koran bezieht", sagte der diesjährige Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels. Tradition, die unterdrückt und abgewürgt wird, werde zur Gefahr, warnte er: "Sie kehrt nämlich zurück. Als Zombie."
Scharfe Kritik äußerte der in Köln lebende 47-jährige Publizist am Wahhabismus, einer in Saudi-Arabien vorherrschenden fundamentalistischen Ausprägung des sunnitischen Islam. Dort gebe es keinerlei Respekt vor der Vergangenheit, weder im Blick auf Ästhetik noch auf klassische islamische Gelehrsamkeit oder Volksfrömmigkeit. "Stattdessen bauen die Saudis von Zentralasien bis Bosnien überall identische McMoscheen aus dem Baukasten und planieren die Altstädte, um Shopping Malls darauf zu bauen oder die höchsten Hochhäuser der Welt." Kermani sprach von einer spirituellen und ästhetischen Barbarei.
Die Christen mahnte der Autor vor diesem Hintergrund zur Traditionspflege. Das Christentum habe seine Tradition ungleich besser bewahrt als der Islam, dies begründe auch eine Form von Neid. Es gebe aber einen Bedeutungsverlust des Christentums in den westlichen Gesellschaften. Ein wesentlicher Grund ist nach Ansicht Kermanis, "dass die Kirchen so wenig auf die Form achtgeben, nicht nur, aber gerade auch in den Gottesdiensten". Religion sei "nicht primär eine Verstandestätigkeit, sondern eine Herzensangelegenheit".