Auch in ihrer Abteilung gibt es weniger Krankenpfleger als noch vor 25 Jahren. Bettina Karbers Antwort ist trotzdem die Gleiche geblieben. Ihr achtjähriger Sohn hatte sie vor ein paar Tagen gefragt: "Mama, was ist dein Traumberuf?" Nach kurzem Überlegen sagte sie: "Krankenpflegerin."
Ein Flachbau auf dem Gelände des Markus-Krankenhauses in Frankfurt-Ginnheim. Ein Flur mit Linoleum-Fußboden, Aquarellen an der Wand, in einem Zimmer mit Fenster zum Flur sitzen Frauen und Männer und flechten Körbe. Bettina Karber ist Teamleiterin in der Psychiatrischen Tagesklinik. Sie gehört zu den Glücklichen, die in dieser familiären Atmosphäre mit immer noch genügend Pflegekräften arbeiten dürfen.
Drastisches Signal der Pfleger an der Charité
Vielen Pflegekräften ergeht es scheinbar anders. Seit dem 3. Juni 2015 ist der zweiwöchige Streik der Pfleger an der Charité in Berlin nun zwar beendet, aber was läuft falsch in Deutschlands Krankenhäusern, dass die Charité-Pflegekräfte sich zu so einem drastischen Signal veranlasst sahen?
Die Initiative von Krankenpflegern "Pflege liegt am Boden" spricht von Arbeitskräftemangel, zu niedriger Bezahlung und einer geringen Wertschätzung der Tätigkeit. "Wir haben immer weniger Zeit für immer mehr zu pflegende Menschen“, schreiben sie in ihrer Einleitung zu ihren grundsätzlichen Forderungen. Seit zwei Jahren versuchen sie mit Flashmobs in deutschen Innenstädten auf sich aufmerksam zu machen, legen sich zu einer vereinbarten Uhrzeit für ein paar Minuten auf die Straße und verteilen anschließend ihre Flyer, die die Passanten aufwecken und aufrütteln sollen.
Seit dem Jahr 2003 rechnen die Krankenkassen mit den Krankenhäusern über "Diagnosebezogene Fallgruppen", kurz DRGs, ab. Die DRGs waren der Beginn eines Prozesses, der bis heute anhält und die Krankenhauslandschaft, sowie den Geist der dort weht, verändert hat. Die administrative Belastung hat zugenommen. Neue Berufe, wie Kodierfachkräfte oder Medizincontroller, sind in den Kliniken entstanden. Die Sozialgerichte sind zudem mit mehr Streits zwischen Kostenträgern und Krankenhäusern belastet.
"Wer garantiert, dass wir die Pflege-Stellen des Reformgesetzes nach 2018 erhalten können?"
Im Gesundheitswesen zirkuliert sehr viel Geld. Dennoch ist es ein knappes Gut, wird dringend gebraucht: für die medizinische Versorgung, für das Personal, für den Um-, Aus- und Neu-Bau, für Innovation. Markus Horneber, Vorstandsvorsitzender der Agaplesion gAG, dem größten christlichen Gesundheitskonzern in Deutschland, wünscht sich, dass "Druck und Arbeistsproduktivität" ein geringeres Gewicht einnehmen; dass nicht zu kurz kommt, dass die Arbeit in der Gesundheitsbranche eine "sinnstiftende Arbeit" ist.
Markus Horneber sitzt im neunten Stock in einem Gebäude des Markus-Krankenhauses mit Blick auf die Frankfurter Innenstadt. Er hebt seinen Arm, deutet nach draußen und fordert vom Land das Geld, das es den Krankenhäusern schuldet. Es sind die "Investitionskosten", die die Bundesländer "endlich vollständig" zahlen sollen, fordert Agaplesion auch in einem Fünf-Punkte-Papier. "Dann wäre uns schon geholfen."
Im Bundestag war am 2. Juli 2015 über einen Gesetzesentwurf zur "Krankenhaus-Strukturreform" beraten worden. 660 Millionen Euro sollen demnach von 2016 bis 2018 den Krankenhäusern zustehen, die für die "Pflege am Bett" verwendet werden sollen. "Das ist eine Mogelpackung", sagt Markus Horneber. Erstens werde das Geld anderswo wieder entzogen und zweitens: "Was ist nach 2018? Wer garantiert uns denn, dass wir die Stellen danach erhalten können?" Ziel im Agaplesion-Konzern sei es schließlich, Menschen unbefristet einzustellen.
Regionale Krankenhäsuer schließen, bringt keine Wählerstimmen
"Unsere Probleme wären nicht gelöst, wenn einfach nur mehr Stellen besetzt wären", sagt Bettina Karber. Stattdessen glaubt sie, dass der Pflegeberuf ein generelles Image- sowie ein Nachwuchsproblem habe. "Früher habe ich die Pflege als ganzheitlichen Dienst am Menschen empfunden. Heute habe ich das Gefühl, dass Krankenpfleger nicht mehr so viel Idealismus mitbringen. Dass in den Teams nicht mehr so sehr an einem Strang gezogen wird."
Stationsleiterin Szerenke Darabpour teilt Bettina Karbers Meinung. Sie arbeitet im Bethanien-Krankenhaus in Frankfurt, ein Belegkrankenhaus, das auch zum Agaplesion-Konzern gehört. "Seit den DRGs gibt es vielleicht weniger Pflegekräfte", sagt sie, "dafür haben wir aber stattdessen Serviceassistentinnen, die Betten machen und Essen aufnehmen. Außerdem Kodierfachkräfte, die bei der Abrechnung mit den Krankenkassen helfen."
Regionale Krankenhäuser schließen, bringt keine Wählerstimmen. Die "unsichtbare Hand" des Marktes soll es richten. Es scheint, als trieben die Reformen die Insolvenzen der Kleinen langsamer voran als gedacht und nagten somit am ganzen System.
"Der Laden muss laufen. Morgen wird es besser"
Agaplesion liegt in Händen der Diakonie. Der Agaplesion-Konzern verspricht ein christliches Leitbild, Kernwerte: dazu gehören Nächstenliebe, Wertschätzung und Wirtschaftlichkeit. Ist ein Krankenhaus ein Wirtschaftsbetrieb? "Nein", sagt Markus Horneber, "es geht um Gesundheit", aber er sagt auch "Ja. Die Rahmenbedingungen sind eben das Geld." Das Geld müssen sich die Krankenhäuser mit den richtigen Leistungen in der richtigen Menge verdienen. So sieht es das System vor. So ist es politisch gewollt.
Der verdi-Gewerkschaftssekretär Berno Schuckart-Witsch hält den Wettbewerb um das Geld für falsch: "Wir teilen nicht die Position, dass zwischen den Krankenhäusern Wettbewerb herrschen muss", sagt er. Innerhalb verdis ist er mit den Themen Gesundheit, Soziale Dienste und Kirchen betraut. Zudem kritisiert er, dass dieser Wettbewerb auf dem Rücken des Personals und über die Lohnhöhe ausgefochten wird.
"Aber woher soll das Geld kommen?" fragt Markus Horneber. Noch höhere Krankenkassenbeiträge, das wolle doch keiner. Die Gesundheitsbranche steckt in einem Prozess mit ungewissem Ausgang. Weitere Krankenhäuser werden schließen müssen; jeder in der Branche weiß wohl, dass es so kommen wird. Vielleicht liegt auch hier der Grund dafür, dass der Nachwuchs fehlt, dass der Idealismus der Pfleger schwindet?
Szerenke Darabpour hat diesen Prozess allerdings längst hingenommen. Ihren Idealismus will sie sich nicht nehmen lassen, das Umdenken in ihrem Kopf hat begonnen. Für sie zählt: "Der Laden muss laufen. Ich stehe hinter meinem Team. Morgen wird es besser."