Mit seinem zweiten Film über den melancholischen Amsterdamer Kommissar Bruno von Leeuwen, den der Schwede Peter Haber ("Kommissar Beck") mit einer würdevollen Lebensmüdigkeit verkörpert, wird Matti Geschonneck seinem Status erneut gerecht. "Totenengel" knüpft atmosphärisch nahtlos an die erste Verfilmung eines Romans von Claus Cornelius Fischer ("Eine Frau verschwindet") an, verfeinert die stilistischen Merkmale aber noch.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Erneut erinnert die Arbeit des niederländerischen Kameramanns Theo Bierkens an die Düsternis der Krimis aus Skandinavien. Offenbar haben sich mit dem Holländer und dem Deutschen zwei Seelenverwandte gefunden; der Film ist nach "Eine Frau verschwindet" bereits die fünfte Zusammenarbeit von Bierkens und Geschonneck seit 2011, darunter auch "Tod einer Polizistin". Für "Totenengel" haben die beiden gemeinsam mit Produktionsdesign und Kostüm den unbunten Bildern jegliche Behaglichkeit ausgetrieben.
Die Bildgestaltung ist somit eine kongeniale Umsetzung des Drehbuchs (Jörg Schlebrügge, Magnus Vattrodt): Der Mord an einem Lehrer (Matthias Matschke) im Amsterdamer Rotlichtviertel bringt den um seine verstorbene Frau trauernden van Leeuwen mit Hilfe einer früheren Kriminalpsychologin (Katja Riemann) auf die Spur eines Serienmörders, der seine Taten als Geste der Barmherzigkeit versteht und sein Unwesen schon seit 25 Jahren unerkannt in ganz Holland treibt.
Spätestens zur Hälfte des Films werden versierte Couch-Kriminalisten ahnen, wer hinter der Mordserie steckt, und nach etwa einer Stunde wird aus der Ahnung Gewissheit. Der Faszination des Films tut das keinerlei Abbruch, was nicht zuletzt an der Führung der Darsteller liegt. Wenn Geschonnecks Hauptdarsteller über die Arbeit mit dem Regisseur sprechen, kommt neben Verehrung und Zuneigung stets der Respekt vor einer ganz besonderen Fähigkeit zum Ausdruck: Wie offenbar nur wenige andere ist er in der Lage, die Darbietungen der Schauspieler aufs Maximum zu reduzieren, so dass sie mit scheinbar minimalem Aufwand größtmögliche Wirkung erzielen. Auf diese Weise wird zum Beispiel David Rott zur charismatischen Figur, obwohl er scheinbar gar nicht spielt. Zunächst ist er ohnehin nur akustisch präsent: David Jacobs ist als Moderator einer "Call-in"-Sendung ein tröstendes Licht in der Nacht.
Kunstvolle Tristesse der Bilder
Eine ähnlich verhalten schillernde Figur ist die von Christina Hecke verkörperte Prostituierte Sherry, die mehr über den Mord an dem Lehrer weiß, als sie zugeben will. Auch Christian Berkel ist sehr markant als Neurologe, der die sterbende Frau des Lehrers behandelt. Angesichts der kunstvollen Tristesse der Filmbilder gelingt es Katja Riemann mühelos, allein durch ihre Präsenz ein gewisses Strahlen zu verbreiten. Gekrönt wird die Ensemble-Leistung (in kleinen Rollen unter anderem Jenny Schily und Arved Birnbaum sowie Jasmin Gerat als van Leeuwens Mitarbeiterin) jedoch durch den großartigen Peter Haber.
Unbedingt erwähnenswert ist auch der Jazz von Florian Tessloff, der die Melancholie der Bilder perfekt untermalt. Und sieht man darüber hinweg, dass manch’ ein Zuschauer bei der Mördersuche fixer sein wird ist als die TV-Ermittler, so hält die Geschichte nicht nur eine Vielzahl unerwarteter Momente bereit, sondern bietet auch viele Anregungen zum Nachdenken.