Beim ersten Papstbesuch in einer Kirche der wichtigsten evangelischen Gemeinschaft Italiens beklagte Franziskus, dass Christen mitunter weiter zwischen ihnen bestehende Unterschiede nicht akzeptierten. Er äußerte sich "zutiefst betroffen über Gewalt im Namen des Glaubens". Bereits im Neuen Testament erweise sich jedoch, dass auch die ersten christlichen Gemeinschaften "weder den gleichen Stil pflegten noch die gleiche innere Organisation hatten". Trotz Differenzen etwa in ethischen Fragen gebe es auch heute Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zwischen den christlichen Gemeinschaften, etwa bei der Flüchtlingshilfe.
Die Anhänger der von dem Kaufmann Petrus Valdes aus Lyon im 12. Jahrhundert begründete Waldenserbewegung sahen sich über Jahrhunderte als Ketzer massiver Verfolgung seitens der katholischen Kirche ausgesetzt. Im katholisch dominierten Italien zählt die Kirche heute etwa 25.000 Mitglieder, weltweit gibt es Schätzungen zufolge rund 100.000 Waldenser.
Der Papst habe mit seinem Besuch eine Mauer überwunden, "die vor mehr als 800 Jahren errichtet wurde, als die Waldenserbewegung der Häresie angeklagt und exkommuniziert wurde", sagte Pastor Eugenio Bernardini. Der Moderator der Waldenser und Methodisten in Italien begrüßte die Vergebungsbitte des Papstes mit sichtlicher Bewegung. "Wir haben sie mit Freude angenommen", sagte er nach dem Papstbesuch in der Waldenser-Kirche.
Zugleich verwies er auf offene Fragen im Dialog mit der katholischen Kirche. Auch das Zweite Vatikanische Konzil erkenne die Protestanten nicht als Kirche an, sondern bezeichne sie als "kirchliche Gemeinschaften", kritisierte Bernardini. Überdies bekräftigte er Forderungen nach gemeinsamen Abendmahlsfeiern: "Was die Christen eint, sind Brot und Wein und seine Worte, nicht unsere Interpretationen, die nicht Teil des Evangeliums sind."
Wahlspruch: "Das Licht leuchtet in der Dunkelheit"
Vom 13. bis zum 15. Jahrhundert breiteten sich die Waldenser in weiten Teilen West- und Mitteleuropas aus. Sie verwarfen allmählich die kirchliche Lehrautorität, Hierarchie, Traditionen und - abgesehen von der Buße, Taufe der Erwachsenen und dem Abendmahl - die katholischen Sakramente. Heiligen-, Bilder- und Reliquienverehrung lehnten sie ebenso ab wie Fürbitten, Messen für Verstorbene, Ablass, Kriegsdienst und Todesstrafe. Im Jahr 1532 schlossen sie sich die Waldenser der Reformation an und bildeten 1559 eine eigene reformierte Kirche. Ihr Wahlspruch lautet "Lux lucet in tenebris" (Das Licht leuchtet in der Dunkelheit).
Seit 1562 gab es die Waldenser nur noch in den Cottischen Alpen, die damals teilweise zu Frankreich, teilweise zu Savoyen-Piemont gehörten. Ende des 17. Jahrhunderts mussten viele französische Waldenser Zuflucht in Deutschland suchen. Im 19. Jahrhundert emigrierten viele Waldenser aus dem Piemont nach Amerika. Mit der Liberalisierung ab 1848 breitete sich die Waldenser-Kirche wieder in Italien aus und gilt heute als eine wichtige Stimme des Protestantismus in Italien.
Franziskus wollte am zweiten Tag seines Besuchs in Turin in privatem Rahmen Angehörigen seiner italienisch-stämmigen Familie treffen. Anlass für die zweitägige Papstreise in der norditalienische Stadt war ein Besuch am Turiner Grabtuch. Nach katholischer Überlieferung zeigt es Körper und Antlitz von Jesus zwischen Tod und Auferstehung.