Vier Wochen vor der ersten Beratung im Bundestag mischen sich die Krebsärzte in die Debatte um die Sterbehilfe ein. Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) lehnte am Montag in Berlin jedes Verbot der ärztlichen Beihilfe zum Suizid ab. Eine Befragung von rund 770 Krebsärzten zeigt zudem, dass Patienten nur sehr selten einen Arzt fragen, ob er ihnen Sterbehilfe leisten würde.
In der Stellungnahme der DGHO heißt es, es bedürfe weder gesetzlicher noch standesrechtlicher Verbote, um die ärztlich assistierte Selbsttötung zu regeln. Der Vorsitzende der DGHO, der Rostocker Onkologe Mathias Freund, sagte, Suizid werde nicht bestraft. Auch die Beihilfe müsse daher straffrei sein.
Verschreibung eines tödlichen Medikaments
Er begründete, warum sein Verband sich auch gegen ein Verbot der organisierten und geschäftsmäßigen Sterbehilfe wendet, wie es gegenwärtig von einer fraktionsübergreifenden Mehrheit im Bundestag angestrebt wird. Freund sagte, es werde kaum möglich sein, die Fälle gegeneinander abzugrenzen. Das Strafrecht sei keine Lösung. Die DGHO schließt sich damit rund 135 prominenten Strafrechtlern an, die sich im April ebenfalls gegen Gesetzesverschärfungen ausgesprochen hatten.
Freund setzte sich stattdessen dafür ein, den Markt für organisierte Sterbehilfe auszutrocknen. Je besser sterbende Patienten in Kliniken und zu Hause versorgt werden könnten und je mehr Möglichkeiten Palliativmediziner und Krebsärzte hätten, desto geringer werde der Wunsch nach anderen Wegen, sagte er und forderte in diesem Zusammenhang ein eigenes Honorar für Gespräche mit den Patienten.
Carsten Bokemeyer, Direktor der Krebsklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf mit mehr als 80 Betten, bestätigte, dass selbst auf Palliativstationen nur fünf bis zehn Prozent der Patienten überhaupt über Sterbehilfe redeten. Es gehe vielmehr um Ängste: vor Schmerzen, vor Luftnot und davor, anderen zur Last zu fallen.
Mit der DGHO-Studie versuchen die Krebsärzte zugleich die Aufmerksamkeit auf die Fragen zu lenken, die ihren klinischen Alltag prägen. Der nicht repräsentativen Studie zufolge wurden zwar 43 Prozent der Mediziner von Patienten gefragt, ob sie grundsätzlich dazu bereit wären, beim Suizid zu helfen. Eine konkrete Frage nach der Verschreibung eines tödlichen Medikaments erhielten aber nur 13 Prozent. 48 Prozent wurden noch nie gefragt. Die große Mehrheit der Ärzte, die die Fragebögen beantworteten, sind zehn Jahre oder länger im Beruf.
"Berufsrecht für Ärzte stellt sich über das Gesetz"
22 (drei Prozent) von 706 Ärzten geben an, bei einem Suizid geholfen zu haben, 15 haben Informationen geliefert, acht haben ein Rezept für ein tödliches Mittel ausgestellt. Für 57 Prozent der befragten Krebs- und Palliativärzte kommt es nicht infrage, bei einer Selbsttötung zu helfen, rund 34 Prozent können es sich vorstellen. 40 Prozent begrüßen ein berufsrechtliches Verbot, wie es die Bundesärztekammer befürwortet. 36 Prozent lehnen es ab, 23 Prozent sind unentschieden.
Nach Ansicht des DGHO-Vorstands ist die Suizidbeihilfe durch Ärzte eine Gewissensfrage. Sie müsse immer wieder unter den Ärzten diskutiert werden. Die Position des Vorstands der DGHO sei nicht automatisch die Position aller Krebsärzte, betonte der Vorsitzende Freund. Der Verband vertritt nach eigenen Angaben rund 3.000 Ärzte.
Die DGHO fordert mehr Hilfe für Patienten, aber auch für die Ärzte selbst. Sie verlangt außerdem, die erst 2011 von der Bundesärztekammer in die Musterberufsordnung eingefügte Passage wieder zu streichen, wonach Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen. Damit stelle sich das Berufsrecht für Ärzte über das Gesetz, kritisierte Freund.