Es lohne sich immer wieder, nach diesen Wurzeln zu fragen, damit identitätsprägende Gewissheiten nicht verloren gehen, sagte Di Fabio am Dienstagabend in Berlin bei eine öffentlichen Diskussion des Wissenschaftlichen Beirats für das Reformationsjubiläum.
Di Fabio, der an der Bonner Universität öffentliches Recht lehrt und den Beirat leitet, erklärte mit Blick auf Zuwanderung und religiöse Pluralität, eine Gesellschaft könne große Integrationsleistungen nur bewältigen, wenn sie sich ihrer eigenen Identität bewusst sei.
Thomas Kaufmann: "Ohne die Reformation wäre europäische Geschichte anders verlaufen"
Der in Göttingen lehrende evangelische Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann sagte, ohne die Reformation wäre die europäische Geschichte anders verlaufen. Sie habe eine "irreversible Pluralisierung der christlichen Religion" gebracht sowie die Teilhabe unterschiedlicher sozialer Gruppen am Geistesleben und der gesellschaftlichen Entwicklung. Er erinnerte daran, dass durch Martin Luthers (1483-1546) Bibelübersetzung die deutsche Sprache in Gottesdienste und Lieder Eingang gefunden und schließlich auch die katholische Kirche erreicht und mitgeprägt habe.
Nach dem Ende der konfessionellen Zeitalter sei es heute die Aufgabe des Staates, die Religionen in freiem Spiel in Beziehung treten zu lassen. Die Bindung an die Kirchen sei nicht mehr selbstverständlich. Die Menschen suchten aber weiterhin nach religiösen Erfahrungen und blieben dafür ansprechbar, sagte Kaufmann.
Die stellvertretende Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats, die Berliner Kirchenhistorikerin Dorothea Wendebourg, betonte, das Reformationsjubiläum 2017 habe zwei Seiten: eine religiöse und eine gesellschaftliche. Für die Protestanten sei es ein Anlass zur Selbstbesinnung auf den eigenen Glauben und die eigene Kirche. Gesamtgesellschaftlich werde dagegen daran erinnert, was die deutsche Geschichte der Reformation zu verdanken habe.
Thomas Söding: "Beiden Kirchen feiern 2017 ein 'Christusfest'"
Der katholische Theologe und Neutestamentler Thomas Söding, der an der Bochumer Ruhr-Universität lehrt und ebenfalls dem Beirat angehört, betonte, gemeinsam sei beiden Kirchen, dass sie mit der Reformation ein "Christusfest" feierten. Das Evangelium stehe im Zentrum von Luthers Theologie und Glaubensverständnis. Aus der Sicht der katholischen Kirche habe Luther viel Neues gebracht, die Reformation aber auch viel zerstört. Historisch gesehen habe die katholische Kirche im 16. Jahrhundert die Chance zur Erneuerung verpasst, die durchaus bestanden habe, bilanzierte Söding.
Am 31. Oktober 2017 jährt sich zum 500. Mal die Veröffentlichung der 95 Thesen, die Martin Luther der Überlieferung nach an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg schlug. In zwei Jahren soll die 500-Jahr-Feier der Reformation ökumenisch und international begangen werden. An den Vorbereitungen beteiligen sich Bund, Länder und Kommunen ebenso wie die Kirchen.