Zwar habe es in Ostdeutschland weder Grundrechte noch Gewaltenteilung oder unabhängige Richter gegeben, schreibt der 84-jährige Jurist in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Dienstagsausgabe). Die DDR habe aber in vielen Bereichen nicht darauf verzichtet, "in der Weise des Rechts zu handeln und für ihre Bürger und Bürgerinnen Gerechtigkeit anzustreben".
Zum Zusammenwachsen nach der Wiedervereinigung gehöre die differenzierte und unideologische Wahrnehmung der anderen und ihrer Vergangenheit. "Die globale Abqualifizierung der DDR als Unrechtsstaat hilft dabei nicht weiter", urteilte der Jurist und Rechtsphilosoph. In vielen Bereichen hätten die Bürger ein Leben "in rechtlich-ethischer Normalität" geführt. Das gehöre ebenso zur Wirklichkeit der DDR wie "das vielfache Unrecht, die vielfache Ungerechtigkeit", fügte er hinzu.
Als Beispiele für Unrecht nannte Böckenförde das Grenzregime, die Justiz, die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und die Verwehrung des Zugangs zu Schulen und Universitäten ebenso wie die Bespitzelung und Zerstörung privaten Lebens. "Die Fälle sind Legion", erklärte der aus Hessen stammende Jurist, der von 1983 bis 1996 Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe war. Die pauschale Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat wolle aber "umfassend delegitimieren und desavouieren".
Der politische Streit um die Einordnung der DDR als Unrechtsstaat war zuletzt intensiv bei der Amtsübernahme der ersten von der Linken geführten Landesregierung in Thüringen geführt worden. Auch zum 25. Jahrestag der friedlichen Revolution war im Herbst vergangenen Jahres um die Begrifflichkeit gestritten worden.