Woher die Mittelmeerflüchtlinge kommen

Foto: dpa/Sebastian Backhaus
Syrische Flüchtlinge auf dem Weg in die Türkei
Woher die Mittelmeerflüchtlinge kommen
2014 flohen nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks etwa 220.000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa. Davon kamen 170.000 in Italien an, andere Routen führen nach Spanien, Malta und Griechenland. In diesem Jahr kamen bis Mitte April bereits 36.400 Bootsflüchtlinge in Europa an. Die wichtigsten Herkunftsländer sind Syrien, Eritrea, Somalia, Afghanistan und Nigeria.

Syrien

Der seit vier Jahren währende Bürgerkrieg hat fast vier Millionen Syrer in die Flucht getrieben. Die meisten harren in Lagern in Nachbarländern aus. Die Syrer stellen jedoch auch bei den Flüchtlingen, die nach Europa kommen, die größte Gruppe. Etwa jeder fünfte Asylsuchende stammte im vergangenen Jahr aus Syrien.

Fast 150.000 Asylanträge von Syrern registrierten die Vereinten Nationen 2014 in den Industriestaaten, mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Die meisten kamen nach Deutschland und Schweden. Deutschland hat ein Sonderkontingent von 20.000 syrischen Flüchtlingen aufgenommen. Zudem stellten im vergangenen Jahr fast 40.000 Syrer Asylanträge in der Bundesrepublik. Insgesamt wurden seit Beginn des Bürgerkriegs im März 2011 rund 70.000 Anträge von Syrern erfasst.

Ihren Weg nach Europa finden die Flüchtenden sowohl über das Mittelmeer als auch über den Balkan. In ihrer Heimat ist unterdessen kein Ende der Gewalt in Sicht. Laut UN wurden bei den Kämpfen zwischen der syrischen Regierung, Rebellen und Terrororganisationen bislang weit mehr als 220.000 Menschen getötet.

Eritrea

Die Regierung des ostafrikanischen Eritrea am Roten Meer gilt als schlimmste Diktatur Afrikas. Die Vereinten Nationen schätzen, dass jeden Monat 2.000 bis 3.000 Menschen fliehen, zumeist auf dem Landweg in den Sudan und weiter nach Libyen. Manche versuchen es auch per Boot. In Eritrea ist nur eine Partei zugelassen, jegliche Kritik wird im Keim erstickt.

Präsident Isayas Afewerki ist seit der Unabhängigkeit des sechs Millionen Einwohner zählenden Landes im Jahr 1993 an der Macht. Nach Informationen von Amnesty International sind etwa 10.000 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert. Folter und Misshandlungen sind an der Tagesordnung. Erlaubt sind nur fünf Religionsgemeinschaften. Angehörige anderer Glaubensrichtungen, etwa Zeugen Jehovas, werden verfolgt.

Besonders gefürchtet ist der Militärdienst, der oft auf unbestimmte Zeit verlängert wird. Wehrpflichtige werden zu Zwangsarbeit eingesetzt, etwa in Minen. Über die humanitäre Situation gibt es wenig Informationen, da die Regierung das Land abschottet. Es werden aber immer wieder Hungersnöte vermutet. Das Regime wird von den UN beschuldigt, Terrororganisationen in Nachbarländern zu unterstützen. Auch am Menschenhandel über den Sinai und den Sudan sollen eritreische Beamte beteiligt sein.

Somalia

Das Land am Horn von Afrika mit etwa zehn Millionen Einwohnern ist nach drei Jahrzehnten Chaos, Anarchie und Bürgerkrieg weiter verarmt. Erst langsam kommt der Wiederaufbau voran. Zwar hat Somalia mit Präsident Hassan Sheikh Mohamud seit September 2012 wieder eine legitime Regierung, aber die Kämpfe mit Islamisten halten in etlichen Landesteilen an, trotz einer afrikanischen Eingreiftruppe. Auch Zivilisten werden gezielt oder willkürlich angegriffen, getötet oder gefoltert.

Mehr als eine Million Menschen sind Flüchtlinge im eigenen Land. In der Hauptstadt Mogadischu hat sich die Lage etwas stabilisiert, Gewalt ist dennoch allgegenwärtig. Mitte April verübte die Terrormiliz Al-Shabaab einen blutigen Anschlag auf das Bildungsministerium. Aus Angst vor solchen Angriffen hausen Zehntausende Familien in Zelten aus Stoffresten, Säcken und Planen. Gegen Kriminelle, Warlords und Vergewaltiger haben sie keinerlei Schutz.

Hilfswerke haben oft keinen Zugang zu Bedürftigen. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass bewaffnete Gruppen Männer und Kinder zwangsrekrutierten. Auch Journalisten und UN-Mitarbeiter werden immer das Opfer von Anschlägen. Die Gewalt verschlimmerte die schwere Hungersnot 2011. Weil kaum öffentliche Strukturen existieren, wird Somalia zu den zerfallenden Staaten gezählt. Zudem haben sich mehrere Landesteile für unabhängig erklärt, darunter Somaliland 1991 und Puntland 1998.

Afghanistan

Aus Afghanistan kommt seit drei Jahrzehnten eine große Zahl von Flüchtlingen. Rund 2,6 Millionen Menschen sind bei den Vereinten Nationen registriert. Der allergrößte Teil lebt in Pakistan und im Iran, in ständiger Angst, abgeschoben zu werden. Die wirkliche Zahl dürfte höher liegen. Wenn sich Afghanen von der Türkei aus per Boot über das Mittelmeer auf den Weg nach Griechenland machen, haben sie meist eine monatelange Odyssee hinter sich.

Der Exodus aus Afghanistan begann mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan 1979. Doch die Fluchtwelle ging nach Ende der sowjetischen Besatzung weiter, als ein Bürgerkrieg tobte. Auch das radikal-islamische Taliban-Regime in den 90er Jahren zwang Tausende Menschen, ihre Heimat zu verlassen.

In Afghanistan mit seinen 30 Millionen Einwohnern herrschen weiter politisches Chaos und wirtschaftliche Unsicherheit. Nach der chaotischen Präsidentenwahl im vergangenen Jahr war die Bildung einer Koalition zäh, erst jetzt wurde das Kabinett von Präsident Aschraf Ghani vereidigt. Die aufständischen Taliban kontrollieren wieder große Teile des Landes.

Nachdem die Nato Ende 2014 ihren Kampfeinsatz am Hindukusch beendet hat, verschlechtert sich die Sicherheitslage. Aus Angst vor der Rache der Taliban zogen Tausende Afghanen in die Hauptstadt Kabul, wo sie in Camps hausen. Nach offiziellen Angaben sind fast 700.000 Afghanen Flüchtlinge im eigenen Land. Doch die Dunkelziffer dürfte hoch sein.

Nigeria

Das bevölkerungsreichste Land Afrikas mit 170 Millionen Ländern kämpft mit der Gewalt der islamistischen Boko-Haram-Miliz, mit Lebensmittelknappheit und weitverbreiteter Armut. Boko Haram kämpft im Norden Nigerias für einen islamistischen Gottesstaat, überfällt Dörfer, entführt und versklavt Schülerinnen, ermordet ganze Familien. Seit 2009 wurden nach UN-Schätzungen rund 13.000 Menschen getötet. Die Zahl der Anschläge und Toten nahm im vergangenen Jahr stark zu. Hunderttausende Menschen flüchteten in andere Landesteile oder über die Grenze, etwa nach Kamerun.

Auch Nigerias Sicherheitskräften begehen im Kampf gegen die Aufständischen schwere Menschenrechtsverletzungen. Amnesty International wirft Militär und Polizei die rechtswidrige Tötung von vermeintlichen Verdächtigen vor. Die mehrfach verschobene Präsidentenwahl im März sorgte für weitere Instabilität. Allerdings zeichnet sich nun ein friedlicher Machtwechsel ab, wenn Muhammadu Buhari Ende Mai sein Amt antreten wird. Trotz reicher Öl- und anderer Rohstoffvorkommen lebt fast jeder zweite Nigerianer in Armut.