Es gebe durchaus islamische Traditionen, die Potenzial für eine neue Formulierung der theologischen Lehren böten, sagte der deutsche Muslim der evangelischen Monatszeitschrift "zeitzeichen" (April-Ausgabe). Diese Ressourcen müssten genutzt werden, um die Religion weiterzuentwickeln und einer politischen Ideologisierung des Islam entgegenzuwirken. Einige Machthaber in der islamischen Welt nutzten die Religion, um ihre Untergebenen gleichzuschalten. Die türkische Regierungspartei AKP etwa missbrauche den Islam, um sich politisch zu profilieren.
Da die bisherigen Auslegungen des Koran keinen Frieden gestiftet hätten, müsse die Schrift vor allem im Hinblick auf Gewalt kritisch und rational ausgelegt werden. Einige Theologen kämen mittlerweile zu dem Schluss, der Koran sei von Menschen gemacht. Die Schrift sei "nicht so etwas wie ein Endbahnhof des göttlichen Zuges", sondern müsse immer wieder neu erschlossen werden. "Der Islam dient dem Menschen und nicht umgekehrt", sagte der 53-jährige Professor für Islamische Religionslehre.
Der historische Kontext müsse bei der Auslegung des Korans grundsätzlich berücksichtigt werden. "Für mich enthält der Koran weniger Informationen über Gott als darüber, wie die Menschen ihrer Zeit Gott gesehen haben", sagte Behr. Die Handlungsmaximen der Schrift dürften nicht als allgemeingültige Regeln dargestellt werden, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, wie etwa den Antisemitismus zu befeuern. Das religiöse Gesetz Scharia sei nicht als Strafrecht zur Unterdrückung zu sehen, sondern als Lehre von Normen und Methoden. Viele muslimische Eltern schickten ihre Kinder in den Islamunterricht, damit ihnen eine gute Arbeitsethik vermittelt werde und sie in der Schule Erfolg hätten.
Behr konvertierte mit 17 Jahren als Gastschüler in Indonesien zum Islam. Seit einem Jahr lehrt er an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main im Bereich Erziehungswissenschaften. Zu seinen Forschungsgebieten gehören die Fachdidaktik des islamischen Religionsunterrichts und Koranexegese.