Filmkritik: "Als wir träumten"

Filmkritik: "Als wir träumten"
Der Straße abgeschaut: In seiner Verfilmung des fulminanten Debütromans "Als wir träumten" von Clemens Meyer schildert Andreas Dresen, wie eine Gruppe Jugendlicher in Leipzig die Jahre der Wende erlebt: als Prozess, der mehr Verlierer als Gewinner zurücklässt.
27.02.2015
epd
Sabine Horst

Es gab mal eine Zeit, da musste jeder deutsche Film eine Clubszene haben - gerne in fiebrigem Rot und mit Techno-Sound, Gesamtanmutung "hip". Die Disco in Andreas Dresens "Als wir träumten", der Verfilmung eines Romans von Clemens Meyer, ist ein bisschen anders. Da haben fünf Jungs ein paar Kisten Bier in ein Leipziger Abbruchgebäude gekarrt, die ausgefranste Elektrik neu verlötet, und fertig ist das "Eastside", einer dieser düsteren Pop-up-Clubs, die es nach der Wende im Untergrund der Städte tatsächlich gegeben hat.

Für die jungen Unternehmer ist die Party allerdings vorbei, bevor sie richtig angefangen hat, und das liegt nicht nur an der Fascho-Gang, die den Laden irgendwann aufmischt. Dani, Rico, Mark, Paul und Pitbull waren 13, als die Mauer fiel, und damals schon ein bisschen neben der Spur - keine Systemkritiker, aber genervt von roten Pionierhalstüchern und Durchhaltepoesie. Die folgenden Jahre erleben sie im Rausch, als "Gewitter im Kopf", das von einem unüberschaubaren Konsumangebot und der Konkurrenz lokaler Banden ausgelöst wird.

Andreas Dresens voraufgegangene Filme, "Wolke 9" und "Halt auf freier Strecke", beide preisgekrönt, waren von ihren Themen getrieben: Alterssexualität und Krebstod. In "Als wir träumten" lässt sich nicht so einfach sagen, um was es geht. Das Etikett Generationenporträt ist schnell bei der Hand, aber die Geschichte um die "verlorenen Kinder", die Wolfgang Kohlhaase respektvoll nach dem Roman gebaut hat, löst sich in Episoden und Einzelszenen auf.

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Dani ist kein verlässlicher Erzähler und die Wahrnehmung der Jugendlichen eingeschränkt. In die ideologische Debatte um Wende oder Revolution begibt sich der Film nicht. Das System "DDR" erscheint hier brüchiger und weit weniger dämonisch als in "Das Leben der Anderen" oder "Barbara", den Sozialismus-Bewältigungs-Leitfilmen des deutschen Kinos. Und der Übergang ins System "Deutschland" ist ein tückischer, fließender und komplexer Prozess. 

Ein Prozess, der nicht bewusst erlebt, sondern erfahren und gefühlt wird. Der Film beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie Geschichte sich in den Alltag, die Psyche und die Körper einschreibt. Das fängt in der DDR schon an, mit einer Wehrübung in der Schule - da diskutieren die mit "Bauchschuss" oder "Rauchvergiftung" betitelten Jungs, welche Behandlung ihnen zusteht, die Hoffnung geht in Richtung Mundbeatmung durch die Oberstufenschülerinnen. 

Empathie für "Loser"

Die gespielten Verletzungen verwandeln sich nach dem Mauerfall fast stufenlos in echte. Jedes weggesoffene Bier, jede Zigarette, jede Spritze hinterlässt Spuren. Autos und Gesichter werden gleichermaßen gedankenlos zertrümmert. Rico lässt sich in drittklassigen Boxkämpfen verprügeln, das von Dani angebetete "Sternchen" bringt sich als Pole-Dancerin durch.

Weil jedes Wort, das ihnen in der DDR wie in der BRD eingetrichtert wird, gelogen ist, suchen die Teenager den physischen Ausdruck. Und der Film verwandelt die gehetzte, erfinderische Prosa der Vorlage in druckvolle, emotionale Bilder und Montagen. Dass Andreas Dresen ein guter Schauspielerregisseur und genauer Milieubeobachter ist, wusste man. Hier kann sich sein realistischer Stil aber noch einmal anders entfalten. "Als wir träumten" ist hartes, der Straße abgeschautes deutsches Kino. Das nur funktionieren kann, wenn Empathie für die "Loser", die Ausgegrenzten und Übervorteilten, im Spiel ist.

Deutschland, Frankreich 2015. Regie: Andreas Dresen. Buch: Wolfgang Kohlhaase (nach einem Roman von Clemens Meyer). Darsteller: Merlin Rose, Ruby O. Fee, Julius Nitschkoff, Joel Basman, Marcel Heuperman, Fredric Haselon. Länge: 127 Minuten. FSK: ab 12 Jahre